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Techno? Nein danke!

Meine musikalische Sozialisation begann mit Vaters Plattensammlung. Drei Alben hatten es mir besonders angetan. Eine von zwei kabarettistischen Liedermachen, deren Namen ich nicht mehr weiß. Eine von Konstantin Wecker (die mit dem erschlagenen Willy drauf). Und das blaue Album der Beatles. Damit war der Rahmen erstmal gesteckt. Ich mochte Pathos, ich mochte Musik, die sich bei aller experimentellen Ausflügen auf Gitarre, Bass, Schlagzeug und eventuell Piano zurückführen lässt. Ich war die einfache Einheit des Songs gewohnt.
So vorgeprägt, war es ein kurzer Schritt hin zu R.E.M. Ich hatte irgendwo schon kurz nach der Veröffentlichung im Sommer 1991 Shiny Happy People gehört und war angefixt. Der einzige, der damals außer mir in der Klasse noch R.E.M. kannte, war ein komischer aber sympathischer Computernerd, der zwei wesentlich ältere Brüder hatte und ihn mit dem versorgten, was in der schwäbischen Kleinstadt „Indiemusik“ genannt wurde. Und R.E.M waren bis in den Sommer 1992 verdammt „Indie“ bei uns in der Provinz. Und zum Indiemusikhören gehörte auch die Arroganz, alles andere doof zu finden.
Zum Glück waren Nirvana erlaubt. Denn dieser verzweifelte Zorn von „Teen Spirit“, der sprach mir als 14 jährigem Bürgerssohn in Schwaben voll aus der Seele. War ja klar, dass nur ein völlig kaputter Junkie aus Seattle mein Lebensgefühl wiedergeben konnte. (Hatte ich erwähnt, dass ich Karten hatte für das erste Konzert, das Nirvana nicht mehr gespielt haben, nach Kurties Zusammenbruch in Rom? Seht Ihr, ich war so was von Indie!)
1994 hatte ich dann zwar immer noch keine coolen älteren Brüder, aber ältere Freunde mit coolem Indiemusikgeschmack. So lernte ich den größten Egomanen der Indiemusikgeschichte kennen: Billy Corgan. Bis heute gehören die Pumpkins-Alben bis inklusive „Adore“ zu dem ergreifendsten Zeug, das ich kenne. Obwohl das Corgansche Repertoire stilistisch nur sehr sehr bedingt Varianzen aufzeigt. Das Konzert am 19. April 1996 in Stuttgart gehört zu den besten Abenden meines Lebens. Ich war zwar nach der ersten Dreiviertelstunde schon so fertig, dass mich die Ordner aus dem Moshpit ziehen mussten, aber zu den Zugaben war ich dann wieder mittenmang dabei. Zwischendurch habe ich eben von der Vorhalle aus glücklich gelauscht.

Mit dem Quartett „Beatles-R.E.M-Nirvana-Pumpkins“ war meine offizielle Musiklandkarte abgesteckt. Was da nicht reinpasste, wurde verdammt. Oder mehr so heimlich gehört, beziehungsweise nur mit den ironischen Gänsefüßchen versehen konsumiert. Weil ohne Nena, Depeche Mode und den bildungsbürgerlichen Kommerz-HipHop der Fantas war es dann schon etwas langweilig auf Dauer. Letzterer hatte den Heimat-Bonus (Hatte ich erwähnt, dass ich Michi Beck mal volllaberte?) und war irgendwie genehmigt. Und Punk gehörte sowohl zur linken Attitüde und zu den Wurzeln von College-Rock und Grunge. Was ich darüber hinaus noch zugab und unter dem „Kennt eh keiner“-Label verstecken konnte, war mein Interesse für Rave.

Die meisten schauten mich dann erschrocken an und fragten: „Du hörst Techno???“ Nein, eben nicht. Techno ging gar nicht. Bäh.

Erstens hat Techno keine Songstruktur. Finde ich bis heute schwierig.
Zweitens fehlt es Techno an Intellektualität. Oder dem, was wir damals da drunter verstanden: Die Welt ist schlecht, die Welt versteht mich nicht. Techno hören war was für die blöden Kinder reicher Eltern, die den 3er BMW schon zur Konfirmation bekamen.
Drittens sahen die dreieinhalb Jungs auf unserer Schule, die Techno nicht nur hörten, sondern lebten (also keine Eros Ramazotti-CD für die Mädels im CD-Wechsler hatten) scheiße aus. Sie waren bleicher als die Computernerds, sie hatten ekelig splissige lange Haare (unsere Indiemähnen waren gepflegt und feminin zum Zopf zusammengebunden) und trugen komische viel zu große, viel zu bunte Pullover mit komischen Tribalmustern drauf. Wir hatten die hübscheren Freundinnen. Und sie schworen darauf, dass Gabber the thing to come sei. Da blutet mir bis heute das Ohr.

Dass ich bereits Ende 1996 auf meiner ersten Goa-Party war und danach ein oder zwei geheime Raves (also jetzt mit Techno) in verlassenen Fabrikgebäuden besuchte, dass ich Ambient und House ganz oft ganz doll entspannend finde, dass konnte ich manchen Indiekollegen erst sagen, als sich die Clique in die Welt zerstreute, neue Blickwinkel entdeckte und die Crossover-Berührungen zwischen den Szenen größer wurden.

Was allerdings am Mayday toll gewesen sein soll, verstehe ich bis heute nicht.
(Mein erstes Konzert war übrigens 1991 eins von den Prinzen. Aber verratet mich nicht.)

3 Kommentare

  1. anne19. Juli 2007 at 21:04

    hihi. (und ich dachte wir machen ein kollegiales coming out? na ja, muss ich halt selbst noch was dazu schreiben)

  2. Gunther21. Juli 2007 at 17:28

    ich bin 1995 offiziell zu techno konvertiert. hab damals schon erkannt, dass mehr drin stecken kann. leider kommts oft nicht rüber bzw an. höre grade deine thinner releases. finde ich sehr gut! viel spaß heute abend und ich hoffe ihr habt glück mit dem wetter. ich werde leider nicht kommen können – hab kein bock allein loszutigern und die homies fahren alle zur nation of gondwana. liebe grüße aus halle und rave on! ;) gunther

  3. Björn Grau22. Juli 2007 at 19:52

    Nachdem ich vorgestern „The future is unwritten“ gesehen habe, in dem Joe Strummer erkärt, warum er die Raves in England so toll findet, muss ich sagen: ich hab wohl die falschen Technofreunde kennengelernt in meiner Adoleszenz.

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