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Ab jetzt kommen die Touristen


(Direktlink)

Anstrengende Tage. Wochen. Monate.

Vor ein paar Monaten wurde klar, dass wir unsere so lange geliebte Villa endgültig verlassen müssten. Ein Zahnarztpärchen hatte sie gekauft und „Eigenbedarf“ angemeldet. Na klar. Ein absolutes Filetstück in zukünftiger bester Lage. Ab jetzt kommen die Touristen. Wie das eben so ist in Potsdam, in Berlin, Hamburg, Leipzig, Dresden und überall anders wo. Die, die nicht mehr mitziehen können, müssen gehen. Die, die für jene kommen, holen sich in der Schlange der Bio-Company obhin ihres reinen Gewissens alle gegenseitig einen runter. „Man tut ja auch vieles für diese schöne Stadt. Lässt Geld in Form von Steuern da. Die Stadt wartet ja auf jene wie uns.“ und dieser ganze Bullshit, der alles an Alternativen aus den Städten drückt. Weil sich die Städte nicht mehr darum kümmern. Weil sie den guten Wohnraum privatisieren. Weil genau das Geld in die klammen Kassen der Kommunen schwemmt. Dort, wo jahrzehntelang Mietwohnungen selbstverständlich waren, entstehen dann Praxen, Kanzleien, Büroräume – bezahlbarer Wohnraum zählt da nur sekundär. Das wird man doch verstehen. Und so. Weil immer alles komplett verwertet werden muss, wenn es komplett verwertet werden kann. Die einst dort auch mitunter lange Wohnenden müssen gehen.


(Alte Bude von außen)

Dorthin, wo die Städte dann doch noch den Bau von Mietwohnungen gerade so genehmigt haben. Meist ist das dann dort, wo nie einer hätte gerne wohnen wollen und wo vielleicht auch deshalb vorher nie einer Mietwohnungen hätte zu bauen gedacht. So wie hier: direkt am Hauptbahnhof. Dort, wo die Züge im Minutentakt dran vorbeirattern. Dort, wo die Stadt neue Mietwohnungen von einem sich ewig bereitmachenden Investor aus Elmshorn bauen lässt (Oh, Irony!). Fertig, den Dienst am Gemeinwesen getan, denkt sie so. Meint sie sogar so. Hat mir einer der Ihrigen gesagt und gar nicht verstanden, dass ich daran meine Zweifel hätte.

Dort, wo Platz ist und sich bisher keine Investoren wie die obigen Helmshorner haben finden lassen, schlägt man dann selber zu und rühmt sich seiner Wohnungsbau-Kompetenzen. In einem Nebensatz erwähnt man dann, dass die Kaufpreise für die Wohnungen ja moderat wären. Kaufpreise! Arschlöcher. Wer nicht kaufen kann, kann gehen. Dahin, wo die, die dort wohnen, ihr Umfeld gerne „Ghetto“ nennen, was die Stadt natürlich ganz anders sieht. „Wir haben doch hier keine Ghettos! Pfui!“ Wer in Potsdam den Schlaatz oder den Stern kennt, kann das ja gerne mal mit den Stadtplanern kommunizieren – ich habe darauf keinen Bock mehr. Weil immer alles komplett verwertet werden muss, wenn es komplett verwertet werden kann.

Und so ist es dann. Wir ziehen weiter. Mit ganz ganz ganz viel Glück konnten wir in der Stadt bleiben. Einem Umstand, den wir uns vor sechs Monaten gedanklich nicht mal annähernd hinzugeben vermocht hatten. Schöne Bude. Bezahlbar, wenn auch teurer, wenn auch viel kleiner, aber immerhin bleiben können, ohne direkt Miete dafür an einen Helmshorner Investor zahlen zu müssen, der seine bunt-fröhlichen Mietskasernen jetzt genau dorthin baut, wo vorher niemals einer wohnen wollte. Am Bahnhof, wo vorher nie Häuser standen. Aus Gründen. Potsdam.

Ich habe in den letzten Wochen verdammt viel Schwermut mit hier herumgeschleppt. Weil ich dieses alte, mittlerweile versiffte Haus wirklich in mein Herz geschlossen habe. Ich hätte dort alt werden können, wäre es gerne geworden gar. Aber die Realitäten geben nun mal keinen Fick auf das, was Hinz und Kunz gerne so hätten. Ich war oft sehr traurig, hatte Tränen in den Augen gar. Häufig.

Gestern dann stand ich in jedem dieser alten, riesigen Räume und sagte „Tschüs“. Natürlich dann, wenn es niemand mehr mitbekommen konnte. Ich sagte tschüs, schloss die Türen und ging. Es tat gar nicht mehr so weh, wie ich in den letzten Woche die Angst hatte. Es ging. Es war okay, auch wenn es immer noch traurig war. Aber es war dann im Hinblick auf das, was wir dann zukünftig hier und jetzt neu haben würden, auch irgendwie ein „Dann-ist-das-jetzt-so“. Machen wir das beste draus.

Und als dann alle weg waren, stellten wir uns beide genau in die Mitte des Raumes, in dem wir einst unsere Hochzeit feierten. In dem unsere Große ihre Kindheit erlebte und unsere Kleine ihre ersten Schritte ins Leben aufnahm. Wir küssten uns und sagten uns: „Es wird schön. Auch weil immer alles schön war. Ganz egal, wo wir waren.“ Und gingen. Umzug. Kopf hoch. Business. Und so.

Jetzt sind wir hier. Neu. Alles ganz neu, alles ganz anders. Und küssten uns. Es wird schön. Weil es immer schön war. Ganz egal, wo wir gemeinsam waren.


(Neue Bude von innen, Küche. Schön.)

Nun sitz‘ ich hier an meinem ollen Tisch auf meinem ollen Stuhl, die beide für mich mitzunehmen eine meiner wenigen Bedingungen zum Umzug war und schreibe so, als wäre nichts gewesen. Es wird noch ein wenig dauern, hier wirklich anzukommen, aber wir konnten in der Stadt bleiben, die wir alle nicht missen wollen würden. Schrilles, buntes Potsdam. Auch wenn Potsdam mittlerweile einen dicken Stock im Arsch hat. Aber, Potsdam, wenn wir auch nur ein fies juckender Mückenstich im Sommer in Deinem Oberarm sein können; bitte schön. Here we are.

Ich hatte einen ewig langen Beitrag zu dem alten, wunderschönen Haus und fast 20 Jahren WG-Leben geschrieben. Mit ganz viel Mimimi und unter ein paar Tränen. Aber jetzt, wo ich hier so im neuen Haus sitze, ist das alles gar nicht so schlimm. Wir kommen hier an. Dieser, der andere Artikel kommt vielleicht später mal. Bis dahin erst mal das, was wir haben. Und duschen, weil eine Wanne haben wir nicht mehr. Duschen. Und küssen.

Und Potsdam lässt sich derweil von den trampelnden Horden zertrampeln. Und euer Pfingstberg ist wirklich schön geworden. Der Malefürst ist eh schon lange weiter nach Osten gezogen. Wir bleiben.

33 Kommentare

  1. hans24. Februar 2013 at 21:44

    Abschied tut immer weh, egal bei wem oder von was. Schade, aber deal with it. Wenn die Veränderung zur Gewohnheit geworden ist, freut man sich über die neue Einflüsse und sieht nicht zu oft zurück, denke ich

  2. hans24. Februar 2013 at 21:45

    p.s. ich habe bei jedem Auszug Tränen in den Augen, Pathos oder Probleme loszulassen, egal

  3. Jens24. Februar 2013 at 22:03

    ach ronny, ich glaube mit diesem beitrag sprichst du mir momentan bibliotheken aus der seele. und ja, irgendwie wird doch immer alles gut und schön. weil wir das ja immer am besten konnten. na, dass es gemeinsam immer gut und schön wurde.

  4. Maelicitas24. Februar 2013 at 22:17

    Ich hatte beim lesen Tränen in den Augen. Vor Schwermut, vor Freude weil das neue Haus dank vieler toller Menschen so schnell zu unserem werden konnte, ohne Wg nur für uns vier, die Katze und den Hund. Es wird schön, weil es immer schön wurde wo wir waren.

  5. steppn24. Februar 2013 at 22:21

    wenn das Bad groß genug ist…..ich mein…so eine Badewanne könnte man ja nachträglich….

  6. Markus30324. Februar 2013 at 22:45

    Danke für den schönen Text.

  7. Moellus24. Februar 2013 at 22:57

    Oh ja, wildes Potsdam.
    (Und gerade in diesem Moment läuft dieser „Du kaufst nicht nur (…)“ Schwäbisch Hall Spot.)

  8. Matze/Nachholer24. Februar 2013 at 23:06

    Jeder Kommentar kommt mir gerade unpassend vor – einfach Zustimmung und Mitgefühl.

  9. w24. Februar 2013 at 23:32

    Alta! Erst der Rant und dann dieser eine Satz.
    Tränen und Dankbarkeit dafür…

  10. Shimun25. Februar 2013 at 00:16

    Kopf hoch und weiterschwimmen…
    :)

  11. andi61125. Februar 2013 at 00:21

    Wow, das ist ein ziemlich guter Text, Ronny. Ich hab hier grad Tränen in den Augen. Nicht in erster Linie wegen Eures Umzugs. Das fand ich auch anrührend. Nein, weil Du genau den Ton getroffen hast, der mich auch immer beschlichen hat, wenn es ans umziehen ging. Ich kann mich schlecht von Dingen trennen, Wohnungen gehören dazu. Und es war nie der Bezug zu diesen vier Wänden, der es so schwer gemacht hat. Es war die Fülle an Erlebnissen in diesen Räumen. Diese Verbindung zu den Orten zurück zu lassen – das war schwer. Ich bewundere, wie halbwegs lässig Du damit umgehen kannst. Ich wünsch Euch jedenfalls alles Gute im neuen Haus und vor allem mindestens die gleiche Kreativität wie bisher!

  12. Trulli25. Februar 2013 at 00:46

    … Es wird schön….wie immer! Ich hab euch lieb.

  13. sonne25. Februar 2013 at 01:50

    trotz des ganzen kapitalistischen unfugs der da draussen so passiert, auf eine schöne zeit in eurer neuen, vielleicht ja letzten hütte! duschen fetzt.

  14. Anonymous25. Februar 2013 at 07:44

    danke für die worte.

  15. jens25. Februar 2013 at 08:19

    Schöner Text! Bin da ganz bei dir. Würde mir genau so gehen.
    Ich hoffe, du konntest den alten Russen mitnehmen. ;)

  16. nappel225. Februar 2013 at 08:22

    persönlicher sehr schöner Text, wie immer!

  17. lohfei25. Februar 2013 at 09:21

    ein bewegender text.
    und duschen spart zeit, da kann man öfter küssen.

  18. Henning25. Februar 2013 at 09:34

    Einer Deiner besten. Sehr schön, Danke!

  19. hudson25. Februar 2013 at 10:27

    sehr bewegender Text. Danke dafür. Du dürftest einigen aus der Seele sprechen damit. Grüße aus Leipzg(West)…noch.

  20. Elektrobanause25. Februar 2013 at 10:28

    meine schwester, sie sitzt mir gerade gegenüber und liest, wohnt in einem der arbeiterschließfächer am bahnhof. ein teures wohnklo mit kochniesche…

  21. eni nella25. Februar 2013 at 11:09

    ich bin gerade durch das kinderzimmer zum schlafzimmer gelaufen und dachte: „das leben ist schön“. und nun lese ich deinen artikel und weine…
    „Es wird schön, weil es immer schön wurde wo wir waren.“ zum glück sind wir nicht alleine!

  22. Vasilie25. Februar 2013 at 11:21

    Wie ich das nachvollziehen kann. Wie schon erwähnt, auch in DD isses so. Hauptsache Business, denn erst das Geld, dann der Mensch. Scheißmist.

  23. Christof25. Februar 2013 at 12:00

    woher kenne ich das Gefühl…..
    ah ja, auch gerade umgezogen, nach 20 Jahren den Kiez direkt neben der Fachhochschule in Frankfurt/M verlassen. Das Leben ist ein Fluss…………………………….. .

  24. Chris25. Februar 2013 at 13:00

    Danke.

  25. Jannis25. Februar 2013 at 13:44

    Sauguter Text.

  26. sejima25. Februar 2013 at 13:57

    Leseempfehlung: „Kapital“ von John Lanchester

  27. Jahrgang 6225. Februar 2013 at 16:35

    Ja, so isses.
    Häng` Dein Herz nicht an Dinge.
    Küssen geht immer.

  28. Robbi25. Februar 2013 at 17:20

    Hallo,

    ich kann Dich sehr verstehen. Mir gings (allerdings vor 20 Jahren) genauso. Und wir haben am Heiligen See gewohnt, also da, wo jetzt Jauch und Konsorten leben.

    Der Schmerz geht nie ganz weg. Vor allem, weil ich meinen Kindern in der Beziehung nie bieten kann, was mir meine Eltern geboten haben. Früher war unsere Straße Spielstraße, soviele Kinder wohnten und spielten dort. Jetzt ist da Totenstille. Die Rechtsanwälte kommen halt selten mal raus…

    Robert

  29. Susi25. Februar 2013 at 21:18

    Das ist schon hart. Einerseits kann man jetzt niemandem verübeln, der sich für sein Geld ein schönes Haus kaufen will und es renovieren will. Aber klar ist das aus der Perspektive der Wohnenden immer grausam.
    Grosses Thema zur Zeit in allen grossen Städten.
    http://gentrificationblog.wordpress.com/tag/andrej-holm/

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