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Manchmal frage ich mich, was wohl aus all den Leuten geworden ist, mit denen ich während meiner Pubertät mal rumgehangen habe. Nachmittags auf dem Schulhof, an der „Ecke“, im Jugendklub, im alten Bahnschacht oder auf dem Sandberg. Klar, es gibt da noch zwei, drei Leute, die man heute noch regelmäßig sieht, mit denen man sich immer noch versteht, mit denen man immer noch was zum Reden hat. Andere hat man hin und wieder mal auf Partys getroffen – was auch schon wieder lange her ist – hat mit ihnen gedrogt getrunken und gefeiert. Das war’s. Dabei waren es so viele, die man während seiner jungen Jahre getroffen hat, sich mit ihnen einig machte. Jeden Tag in der Woche. Man hat die wenigen Zigaretten, die man den Eltern geklaut hatte, mit ihnen geteilt (Gerecht geteilt, nicht brüderlich.). Man hat am Freitag sein gemeinsames bißchen Kleingeld in einem Basecap gesammelt, um einen Sechser Bier zu kaufen. Meistens dieses furchtbare Schultheiss oder Kindl in 033ern Flaschen. „Blasen“, wie die alten Berliner zu sagen pflegen. Auf’s Wochenende und so.

Irgendwann waren sie fast alle auf einmal weg. Verschwunden. Eigentlich war ich weg. Räumlich. Aber was ändert das schon? Ich habe sie lange nicht gesehen, keiner hat sie gesehen. Sie sind weg. Irgendwo da draußen. So wie das eine Mädchen, dessen Name mir heute gar nicht mehr einfällt. Wir haben uns damals gegenseitig befummelt. Ich war 13, sie etwas jünger. Sie war nicht sonderlich schön – ich auch nicht. Aber wir waren jung, wir brauchten die Erfahrungen. Beide. Ich würde ihr heute viel wünschen, wie allen anderen von damals auch. Ich denke da häufig drüber nach.

Heute war ich in einer kleinen Berliner Vorstadt in einem Discounter. Da war das eine Mädchen, dessen Name mir heute gar nicht mehr einfällt. Wir haben uns damals gegenseitig befummelt. Sie hat einen großen, mit Waren bepackten, Hubwaren durch den Laden gelenkt. Später dann saß sie an der Kasse, hat mich und die Dame das Hauses abkassiert. Da saß sie und einige Fragen, die ich mir zu den guten Leuten von damals gerne stelle, beantwortet, obwohl sie da alleine saß. Das Leben ist viel unspektakulärer als ich mir für sie wünschen würde. Ich habe allen etwas Großes gewünscht. Jedem von denen. Sie sollten all das gemacht haben, was sie immer machen wollten. Sollten ihr Glück finden, ihren Frieden mit dem Leben machen. Alles erreichen. Vielleicht ist das, was sie da tut auch genau das. Ich weiß es nicht, ich habe sie nicht gefragt. Ich habe nicht mal Hallo gesagt, in der Hoffnung, dass sie mich nicht erkennen würde. Ich war entäuscht. Das ist nicht das, was ich ihr gewünscht hätte. Sie sollte alles kriegen. So wie alle der Anderen. Heute sitzt sie bei Plus an der Kasse. Viele der Anderen von damals werden ähnliches machen. Ich schließlich auch. Fummelei hin oder her.

Aber: ich weiß wieder ihren Namen. Er stand in Brusthöhe auf ihrem Namenschild.

6 Kommentare

  1. hans18. Januar 2009 at 10:27

    du hast so recht, ich habe öfter genau solche gedanken. vorallem über meine klassenfreunden von damals. von manchen weiß ich, dass sie sich nicht entwickelt haben, stehen geblieben sind und in einen sehr sehr kleinen welt leben. eine welt, die viel zu klein für ein ganzes menschenleben ist, da quetschen sie sich rein und versuchen darin glücklich zu sein, viele allein. andere wiederum haben sich von der hauptschule, auf der wir gemeinsam waren, übers abi, bis zu einem abgeschlossenen studium hochgerackert und einer, der schwächste seinerzeit, der hat unlängst seine doktorarbeit verteidigt. ich habe mich so für ihn gefreut, dass ich eine ganze woche, nacht für nacht, von ihm geträumt habe. die haben sich das stück welt genommen, was ihnen zusteht, das stück welt, das groß genug für ihr menschenleben ist, die leben nicht allein. ich denke so ist das leben und es macht uns betroffen, mitleidig oder unwohl, da beide pole vorhanden sind, zwischen denen wir oszillieren. angst vor dem alleinsen, einer kleinen welt, in der man nicht atmen kann, in der man den kleinen rest auch noch verlieren kann, wünscht sich keiner. ich schließe mich vollen herzens deinen wünschen an, und wünsche uns allen großes. so groß, dass wir ohne angst und neid hineinpassen. danke für deinen wundervollen post, das trage ich schon lange mit mir herum, jetzt konnte ich es mal loswerden.

  2. Uwe Schnitzler18. Januar 2009 at 14:07

    Lange nicht mehr so etwas schönes und dabei auch trauriges gelesen…wie immer sprichst du mir aus dem Herzen.

    Danke dafür!

    Uwe

  3. Marleen18. Januar 2009 at 15:02

    das ist wirklich wunderschön. vielen dank!

  4. l-mah18. Januar 2009 at 20:12

    na ihr seid ja sentimental drauf… also mich interessieren diese menschen von frueher in keinster weise mehr… sonst haette ich sie ja mitgenommen ins weitere leben!

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