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Die dicke Birgit

Sie war schwer krank, dachten wir damals, hatte viel mehr Freunde als ihr gut taten und war sowieso immer sehr gut drauf. Außerdem sah sie so anders aus als alle anderen. Wie ich heute weiß, wurde sie mit Trisomie 21 geboren und ihre Eltern konnten damit nicht umgehen, sie gaben sie ins Heim, hielten aber dennoch steten Kontakt zu ihr. Vielmehr versorgten sie sie regelmäßig mit Geld, Westgeld auch. Man sagte, ihre Eltern wären Millionäre, dem man, wenn man sah, wie Birgit mit Geld umging auch durchaus Glauben schenken konnte. Ihre 18 Jahre sah man ihr nicht an, im Gegenteil, sie sah immer irgendwie älter aus.

Wenn ein Rummel in der Stadt war, war sie immer die erste, die den Platz betrat, und auch die letzte, die wieder ging. Man konnte meinen, sie lebte nur für diese kleinen Schaustellergruppen, die regelmäßig auf dem Platz vor ihrem Heim gastierten. Dann lud sie alle ein, die sie darum baten, soff wie ein Loch und vergnügte sich bis zum Umfallen. Birgit liebte die Autoscooterfahrten, die Karusells, diese Schaukeln, die man aus eigener Muskelkraft herraus zum Schwingen bringen musste. Einige Männer liebten sie. Der Grund dafür dürfte klar sein. Sie war das, was man „leicht zu haben“ nennt und sie machte keinen Hehl daraus. Das sie so viele „Freunde“ hatte, lag primär daran, dass ihr das Geld immer locker in der Tasche saß. Jeder, der nur irgend konnte, nutze sie aus, um auf ihre Kosten nette Abende zu verbringen. Ich war damals zu jung für so was, wäre aber wahrscheinlich sonst auch einer derer gewesen, wie ich zugeben muss. Alle dachten immer, Birgit merkte das nicht, die btw Wert darauf lag, dass man sie „dicke Birgit“ nannte. Sie war eine immerfrohe Seele.

Im Sommer, wenn das Schwimmbad öffnete, war sie auch dort, die erste die kam, und im Herbst, die letzte, die die Becken dort verließ. Sie sprang wie alle anderen gänzlich ohne Angst vom Dreier und haute für jeden, der sie darum bat, Pommes und Bier rein. Irgendwann wurde ihr dann von Seiten des Heimes das Geld rationiert, weil die sich -klar- nicht erklären konnten, wie Birgit es schaffte, am Tag 50 Mark kleinzukriegen. Ab da hatte sie weniger, von denen sie dachte, es wären Freunde. Oft saß sie dann allein am Beckenrand und schaute traurig drein. Sie konnte einem leid tun, die dicke Birgit, sprang kaum noch vom Dreier und lachte auch fast nicht mehr. Irgendwann dann sah man sie nicht mehr und jeden den man fragte, konnte keine Auskunft darüber geben, was denn wohl aus Birgit geworden ist.

Vorhin in der Tram sah ich sie, dachte ich kurz. Sie war es nicht. Ich musste trotzdem darüber nachdenken, was sie wohl heute macht, ob sie lebt?

8 Kommentare

  1. augi9. Juli 2008 at 19:41

    ach mensch – irgendwie traurig die geschichte! aber schön, dass man manchmal an menschen denkt, die vielleicht auch nur peripher das eigene leben gekreuzt haben. mir geht das manchmal mit der nachbarstochter meiner eltern so: sie ist geistig behindert und ich habe von klein auf immer mit ihr gespielt – bis ihre entwicklung stehen geblieben ist und meine davonlief… irgendwohin nach berlin. und manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich nicht so oft an sie denke, wie sie offensichtlich an mich…. wenn ich dann an sie denke, komme ich mir schäbig vor, weil ich mich nicht öfter bei ihr melde.

  2. Anonymous9. Juli 2008 at 19:55

    Ja, ich kannte Birgit auch, aber auch nur vom sehen und beobachten. Ich glaub ich war auch noch zu jung um zu raffen was da damals vor sich ging. Aber wissen würd ich auch schon gern was aus ihr geworden is. Du bist offensichtlich auch aus Teltow??!!
    Ich liebe es wie du schreibst!!!!

  3. Saint9. Juli 2008 at 20:02

    Boah! Das ist krass! Ja, ich bin dort groß geworden.

    Komisch, das Internetz manches Mal. ;)

  4. kosta10. Juli 2008 at 11:45

    alter! ich kannte birgitt auch, zumindest vom sehen…

  5. tobi10. Juli 2008 at 18:21

    ja ja die birgit….die konnte immer die besten arschbomben! :)
    sind denn hier nur teltower?

  6. magadun10. Juli 2008 at 18:54

    …. sie arbeitet im diako
    denke sie wohnt auch dort …. oder in teltow.

  7. Saint10. Juli 2008 at 22:06

    nee, so viele einwohner hat teltow nicht, dass diese den täglichen müll hier lesen wollten. :P

  8. mogreens11. Juli 2008 at 11:08

    klar diedicke birgit, ewig nicht gesehn. ein sonniges gemüt.

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