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Er trägt Glatze – nassrasiert, fährt einen tiefergelegten und breiter gemachten japanischen Kleinwagen. Er hat nur einen mäßigen Schulabschluss, aber das stört ihn und seine Kumpels nicht, denn er hat Arbeit. Seine Kollegen mögen ihn, er sagt nicht viel und das was man ihm an Arbeit überträgt, erledigt er – ohne Wiederrede. Als er jünger war, hat er Landser gehört und Störkraft, aber die hört er heute nicht mehr. Er sagt, die seien ihm „zu dumm“ und außerdem sei „er kein Nazi mehr“. Er möge zwar „die Ausländer nicht sonderlich“, aber deshalb sei „man ja nicht gleich ein Nazi“. Seine alten Freunde, mit denen er früher rumhing, sind allesamt zum Bund gegangen, aber da wollte er nicht hin, er hatte ja eine „gute Ausbildung und auch Chancen und sowas“. Er ist Straßenbauer. Mindestens 4 mal die Woche geht er für zwei Stunden in den Kraftraum, wie die abgespeckte Variante einen Fitnesscenters genannt wird, die der Sportverein des kleinen Ortes betreibt in dem er lebt. Wenn er mal mehr Zeit hat, geht er auch öfter, auch an den Wochenenden. Seine erste große Liebe hat ihn vor Jahren schon verlassen, weil ihr das „ganze Kraftsportzeug zu viel wurde“. Seit dem ist er allein. Alles was er hat, wonach im der Sinn steht, ist seine Arbeit und sein Sport. Er reißt 50-Kilo Hanteln, in jeder Hand eine, ohne Probleme. Seine Sportsfreunde finden das „amokkrass“ und er genießt genau jenen Umstand. Die jüngeren Jungs sehen ihn als Vorbild, sie wollen so aussehen wie er, wie Schwarzenegger in seinen besten Jahren. Außerdem hat er einen eigenen Schlüssel für den Kraftraum. Das imponiert ihnen sehr. Alle vier Wochen mal fährt er mit seinem tiefen und breiten japanischen Kleinwagen in irgendeine Dorfdisse, trinkt zwei Wodka-Energy, fährt um 3:00 Uhr nach Hause und hält sich für besonders „verrückt“. Er zieht sich dafür immer die furchtbar hässlichen Sneakers an, die er nicht kauft, weil sie kuhl aussehen, sondern weil sie teuer sind. Sonntags dann, wenn er bei Mutti zu Mittag gegessen hat, geht er wieder in den Kraftraum und trainiert. Er tut das immer ohne Shirt, klar. Manchmal schaut seine erste große Liebe vorbei, um mit ihm zu plaudern. Man kann dann, und nur dann, die Sehnsucht nach Liebe in seinen Augen erkennen. Wenn sie danach von ihrem neuen Freund mit der deutschen Großraumlimousine abgeholt wird, geht er wieder zurück in den Kraftraum und quält seinen Körper.
Wenn man ihn nach seinen Träumen fragt, sagt er: „Eine Frau, wie sie eine war, eine Luxuskarosse, Arbeit und ein Haus. Vielleicht noch einen Hund und Kinder wären nett, wenn die Frau sie großzieht.“ Fragt man ihn, ob er denn nicht die Welt verändern wollen würde, sagt er: „Nöö, warum denn? Die Welt ist doch okay, so wie sie ist.“

Er ist Anfang zwanzig und ein ganz normaler junger Mann irgendwo im Berliner Umland.

5 Kommentare

  1. René1. Oktober 2007 at 23:17

    Danke. Fantastisch. Ich kenne solche Wichser auch 1:1. Und ich dachte immer, die gibt’s nur auf’m Land…

  2. neugierig2. Oktober 2007 at 07:51

    Ich würde eher sagen hört sich ganz schön traurig an, ich habe mitleid!!!!!!!

  3. augi2. Oktober 2007 at 13:09

    ich erkenne mich darin wieder – bis auf die frisur….
    nee, im ernst mal: armselig, oder? aber wieviel laufen auf dieser welt rum, die so denken wie der? mehr, als wir wahrhaben wollen, schätze ich.

  4. Saint2. Oktober 2007 at 13:43

    Ich hatte eigentlich versucht, das Ganze wertfrei zu betrachten, aber ich glaube, eigentlich habe ich es geschrieben, weil ich wirklich denke, dass der Tüp ein Wichser ist. Ein großer Wichser sogar.

    @neugierig: Nein, leid tut der mir nicht. Er hat sich selber für den Weg entschieden, den er da geht. Mit allen Konsequenzen und ohne jegliche Reflektion, seines kleinen Lebens…

  5. […] Kraftfuttermischwerk: Er trägt Glatze Fantastisch, Alltagsnazis, stripped down to the bone: „Er trägt Glatze – nassrasiert, fährt einen tiefergelegten und breiter gemachten japanischen Kleinwagen. Er hat nur einen mäßigen Schulabschluss, aber das stört ihn und seine Kumpels nicht, denn er hat Arbeit. Seine Kollegen mögen ihn, er sagt nicht viel und das was man ihm an Arbeit überträgt, erledigt er – ohne Wiederrede. Als er jünger war, hat er Landser gehört und Störkraft, aber die hört er heute nicht mehr. Er sagt, die seien ihm “zu dumm” und außerdem sei “er kein Nazi mehr”. […]

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