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Sie muss um die 70 sein. Seit Jahren sehe ich sie regelmäßig um den Haubtbahnof herum bummeln, sanften Schrittes. Gepflegt sieht sie aus, etwas wirr im Blick, aber immer gepflegt, sauber. Und immer mit einem Lächeln auf ihren dünnen Lippen. Das fällt auf, man sieht es ja so selten. Ihre Brille ist viel zu groß für die kleinen Augen, bringen aber die Lustigkeit der selbigen ganz wunderbar zum Ausdruck. Ihr Haar hat zwei Farben; unten schwarz, in
der oberen Hälfte ein Grau, was gen weiß tendiert. Es war wohl an der Zeit, sich dem Alter zu stellen.

Hin und wieder sitzt sie in allen möglichen Linien, die den Bahnhof anfahren, oder ihn verlassen. Manchmal gar die langen Strecken, die, die mit 70 Minuten und länger eine kleine Reise versprechen. Sie fährt dann ohne Ziel bis zur Endstation und steigt umgehend wieder ein, um den Rückweg anzutreten. „Man hat ja sonst nichts zu tun“ scheint ihre grundsätzliche Motivation dafür zu sein, oder „so erlebt man noch was“.

Ihre Einkäufe erledigt sie grundsätzlich im Bahnhofsshop. Das ist zwar gut drei mal so teuer wie in einem Supermarkt, aber „Wissen se, die großen Läden sind immer so unpersönlich und das erinnert mich hier immer ein wenig an den Tante Emma Laden, den ich als Kind am Ende der Straße immer schon so gern besuchte. Auf den Pfennig muss ich auch nicht kieken, und die eine Verkäuferin hier heißt auch Gabi! So wie die damals.“, sagt sie. Sie kauft dort alles, was sie so zum Leben brauche. Von der Butter übers Brot bis hin zum Klopapier, alles. „Immer nur für einen Tag.“ Das wäre sonst so schwer und „so habe ich einen Grund morgen wieder herzukommen.“

Als sie bezahlt, hält ihr Gabi den größeren der Jägermeister-Flachmänner hin und fragt ob sie den heute vergessen hätte. „Nee“, sagt die alte, „ich hatte heute schon einen. Das reicht! Zwei davon am Tag sind nicht gut.“ Es ist 11:00 Uhr. Sie bezahlt für eine handvoll Lebensmittel 14,50€ und lässt die 50 Cent Wechselgeld einfach liegen. „Bis Morjen, nech?“, sagt sie, lächelt und verlässt den Shop. Ich hätte gerne noch mit ihr geredet, aber ihre Linie fährt gleich. Nach Luckenwalde.

Ein Kommentar

  1. Logopaede16. Februar 2011 at 17:56

    Ich habe nichts Relevantes zu der Momentaufnahme beizutragen, habe sie jedoch so gerne gelesen, dass ich es nicht unerwähnt lassen möchte. Danke.

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