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Manchmal stand ich mit dem Kopf gelehnt an der Fensterscheibe auf einer der halbfertigen Baustellen, die irgendwann mal Wohnhäuser werden sollten, rauchte, sah auf den Hof, wo dutzende Leute ihrer Arbeit nachgingen und dachte nach. Das tat ich oft, zu jener Zeit. Ich hatte Glück an solchen Tagen, konnte selbständig und vor allem ohne jegliche Begleitung in Form eines dummschwätzenden Kollegens kleine Aufgaben abarbeiten, die in jeder der frisch gebauten Wohnungen gemacht werden mussten. Heizkörperrohre lackieren, Heizkörper spritzen, Fugen ziehen, Türzargen streichen – solche Sachen. Da stand ich dann im Warmen und genoss es, den Heizkörpern so nahe zu kommen, draußen war Winter, es lag Schnee und alle die dort draußen unterwegs waren, mussten sich um einiges dicker anziehen als ich. Durch den Schnee liefen die portugiesischen Putzer, von denen es hieß, sie hätten keine Manieren, die türkischen Tiefbauer, von denen es hieß, sie hätten keine Manieren, die polnischen Eisenflechter, von denen es hieß, sie hätten keine Manieren, die russischen Fußbodenleger, von denen es hieß, sie hätten keine Manieren, die deutschen Maurer und Maler, von denen ich sagen konnte, sie hatten keine Manieren, aber sie fühlten sich wohl besser damit, genau das den ausländischen Bauarbeitern zu überlassen – keine Manieren haben. Hin und wieder lief auch tapste auch ein Tischler durch den Schnee. Den einzigem Gewerk auf dem Bau angehörend, dem ich, in damaliger Situation, so etwas wie Manieren attestiert hätte. Tischler sind sehr ehrbare Handwerker, ähnlich wie Zimmermänner. Da stand ich dann, rauchte mehr als es meine Zeit hergegeben hätte und pausierte. Lange manchmal.

Es roch immer sehr sauer in diesen neu gebauten Häusern, in die 6-8 Wochen später die ersten Mieter ihre neuen Domizile einrichten wollten. Eine Mischung aus frischem Kalkputz, dem allgegenwärtigem Staub, dem Holz der frisch verbauten und Pisse, die fast immer in einigen Eimern vor sich hingärte. Die mussten immer so lange als Klo-Ersatz herhalten, solange wie noch keine Sanitäranlagen verbaut bzw. diese funktionstüchtig waren. Wochenlang standen die da und ich weiß bis heute nicht, wer die dann, irgendwann kurz vor Bauabnahme, entsorgt hatte. Es war ein furchtbarer Gestank und ich war froh, wenn der Lack, den ich auf die heißen Heizkörper und Rohre tünchte, verbrannte und dabei kleine Rauchwolken im Raum hinterließ. Dieser Geruch dann machte die Tage erträglich, auch wenn immer alles danach roch. Die Klamotten, die Haare, die Haut, alles roch nach Alkydharzlack, was gemessen an den anderen möglichen Geruchsalternativen ganz klar die beste Variante war.

Irgendwo aus einem anderen Hausflur dröhnte dann der Hammer des Tischlers, der die Türen in die Wände knallte, auch das Sägen der Steinsetzer konnte man gut hören, die die Treppenaufgänge mit italienischem Granit ausstaffierten. Ansonsten war es manchmal ganz still. Ich hörte nur das Schleifpapier, das die Röhren vom Putz befreite und das Klacken des Pinsels, wenn der mal gegen die Rohre stieß. An solchen Tagen hasste ich die Pausen im Bauwagen. Ich wollte meine Ruhe, keine Gespräche, keine Geschichten der Kollegen, die sich darüber ausließen, in welcher Dorfdisse sie am vergangenem Wochenende wen wie oft und wo flachgelegt hatten. Ich wollte nicht hören, welcher der Altgesellen Stress mit seiner Uschi und seinen Kindern hatte, wohin er im nächsten Jahr in den Urlaub fliegen würde, welches Reisebüro ihm dafür das beste Angebot gemacht hätte. Ich wollte keinen Suff, kein Kiff und auch kein Koks, dass sich einige durch ihre Nasen zogen, um noch mehr Meter zu schaffen und um ihre Akkordlöhne so in die Höhe zu treiben. Das machte für mich alles keinen Sinn, das war mir alles egal. Ich wollte meine Ruhe, wollte meine Gedanken ganz für mich haben und wollte meinen Earl Grey ohne Zucker. An solchen Tagen ging ich immer allein in die kleine Bäckerei und hoffte, dort niemanden zu treffen, der auch auf dieser Baustelle tätig war. Manchmal gelang das. Ich stand dann dort und sah den Hausfrauen dabei zu, wie sie ihre Tageseinkäufe machten. Auch blöd, aber immer noch besser als sich im Bauwagen zulallen und vollquatschen zu lassen.

Ich war sehr lange auf dieser Baustelle mit den vielen blaugrauen (RAL 5024) Mietshäusern in der Triftstraße, Berlin-Wittenau. Es war eine der besseren Baustellen, eine, auf der man auch mal allein arbeiten konnte. Manchmal habe ich die Jahre meiner ersten Ausbildung gemocht, meistens habe ich sie gehasst. Hin und wieder sogar beides, eben so wie in der Triftstraße, Berlin-Wittenau. Immer wenn der Winter Einzug in mein Leben hält, erinnere ich mich an diese Zeit zurück. Auch gerne mitunter. Heute nochmal durch diese Wohnungen gehen, von denen sich die Mieter gar nicht klar darüber sind, dass das mal Baustelle war, das wäre was…

3 Kommentare

  1. Maelicitas18. November 2008 at 21:39

    Ich habs gelesen vollständig sogar ;-) auch das ist rührend. Ich erinnere mich auch noch gut an den Geruch wenn du nach Hause kamst. Ich fand den Geruch nicht sehr ansprechend.

  2. Saint9. Dezember 2008 at 22:49

    Bitte gerne. Macht man viel zu selten, sowas.

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