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Rotkreuzritter

Der Weg von der Tram in das Bahnhofsgebäude ist kein weiter und doch scheint er manchmal unüberwindbar. Eigentlich müsste ich nicht mal da rein, nur hin und wieder, wenn ich noch einen Kaffee holen will, ein Baguette oder Zigaretten, muss ich diese paar Meter gehen. Dann stehen sie da, als müssten sie das Gebäude bewachen und dürften keinen rein lassen, so wie damals die Grenzer an der Mauer. Sie nehmen ihre Aufgabe sehr ernst. Keiner kommt unangesprochen dort durch. Sie wollen Zeitungsabos verkaufen, suchen irgendwelche arme Irren, die sich zu einem Video-Bestellservicevertrag hinreisen lassen oder sammeln Spenden für rettet die Wale, den Tierschutz, Greenpeace, und was weiß ich noch alles. Man muss acht geben, wenn man unbemerkt an ihnen vorbeikommen will. Es kommt mir vor wie in einem Computerspiel das im Kriegsgebiet spielt, wo es ums eigene Überleben geht. Das ist nur dann gesichert, wenn man an seinen Gegnern unbemerkt vorbei kommt. Der Vergleich hinkt – zugegeben -, aber so fühle ich mich dann tatsächlich. Ich will die nicht sehen, ich will nichts von denen haben und ich will nicht von denen angesprochen werden. Ich brauche kein Zeitungsabo, will keine Videos auf Bestellung und auch in keinen Verein eintreten, obwohl ich das durchaus mal tun könnte, nur eben nicht am Bahnhof. Jeden Tag sage ich „Nein. Danke“. Dennoch fragen sie mich am nächsten Tag wieder danach. Ich komm mir vor, wie Bill Murray in Und Täglich grüßt das Murmeltier, nur das da alles irgendwie lustiger zu sein scheint. Meistens reicht ein „Nein, Danke“ oder „Kein Interesse“. Manchmal muss man auch etwas mehr sagen, um die abzuschütteln. Im Regelfall klappt das auch gut. Ideal ist es dann, wenn man Kopfhörer auf hat und man so tun kann, als höre man sie nicht.

Seit ein paar Tagen allerdings ist alles noch viel komplizierter geworden. Zu den ohnehin schon kaum überwindbaren Torwächtern hat sich nun auch noch das Rote Kreuz gesellt. Und das mit einer Offensivkampfbrigade, die auch als SEK unter den Zahlscheinsammlern durchgehen könnte. Man erkennt sie an ihren Jacken mit dem roten Kreuz. Dazu haben sie immer eine Schreibunterlage auf dem Unterarm, wo neben den wichtigen Infos auch immer gleich Verträge und Überweisungsträger stecken. Außerdem haben die wohl die sympathischsten Studenten für diesen Job gecastet, die Deutschland her zu geben hat. Die meinen es echt ernst. Sie arbeiten nach dem Staubsaugerprinzip, wobei sie die physikalischen Prinzipien eines solchen umdrehen und nicht den Staub, in diesem Fall Passanten, einsaugen, sondern sie saugen sich an die Passanten ran. An jeden Passanten. Wenn sie einen dann gestellt haben, halten sie den fest. Fest, wie ein Falke, der seine frisch erlegte Beute mantelt. Es gibt kein Entkommen.

Dann reden sie auf einen ein, so dass es im Kopf klingelt. Die Menschen haben keine Zeit, das wissen sie und reden deshalb besonders schnell. Ein „Nein, danke“ oder „kein Interesse“ akzeptieren sie nicht. Zumindest nicht so lange, bis sie alle ihre Sätze losgeworden sind. Aber auch dann wird es nicht leichter. Ich habe es versucht mit: „Keine Zeit. Mein Bus fährt gleich.“ Darauf meinte er: „Kein Problem, ich komme mit.“ Ahhhh. Das machte mir ein wenig Angst, das geht zu weit, ich brauche keine Busbegleitung mit Schreibunterlage auf dem Unterarm. Ich will auch nicht beim DRK eintreten, obwohl ich weiß, dass das wichtig und wahrscheinlich sogar richtig wäre. Ich will es nicht! Schon gar nicht vor dem Bahnhofsgebäude. Ich bin ihn dann losgeworden mit: „Ich muss das erst mit meiner Frau abklären, wissen sie?“ Zufrieden war er damit nicht und wollte sich mit mir am Bahnhof verabreden, um alles fest zu machen. Ich sagte okay. Ich weiß, dass das nicht wirklich die feinste Art ist, aber was soll man machen. Ich habe heute überlegt, ob ich auf der anderen Seite in den Bahnhof gehe, womit man sie umgehen könnte. Nur, dass sind 15 Minuten Umweg, was mir dann doch etwas übertrieben erschien. Also war es der tanz auf einem Minenfeld. Ich bin ihnen entkommen. Heute. Man muss geschickt agieren und konzentriert, nur dann hat man eine Chance gegen die Rotkreuzritter. Ritter deshalb, weil sie ja wirklich was Gutes, was Ritterliches zu tun bemüht sind.

Bald trete ich in einen Verein ein. Nicht ins Rote Kreuz, was allerdings bedeutet, dass ich für den Weg von der Tram in das Bahnhofsgebäude auch weiterhin täglich eine Strategie auszuarbeiten muss. Und täglich grüßt das Murmeltier.

3 Kommentare

  1. mp_4643. April 2008 at 20:16

    Ich habe es versucht mit: „Keine Zeit. Mein Bus fährt gleich.“ Darauf meinte er: „Kein Problem, ich komme mit.“ hahahahaha…..

    aber diese typen koennen auch laestig sein. am schlimmsten ist es, wenn die zu mehreren sind und dich von allen seiten einkreisen und um deine mitgliedschaft buhlen, als wuerde es kein morgen mehr geben.

  2. thebestpianoplayeroftheworld3. April 2008 at 21:20

    Da gibt es ein ganz einfaches Mittel, das ich bei solchen Fällen immer erfolgreich anwende: ignorieren. Das beste ist, die müssen schon an meinem genervten und abweisenden Blick erkennen, das ich auf sowas keinen Bock habe. Schon öfter bemerkte ich, dass so jemand mit antrainiertem Lächeln und Luft holen für den kommenden verbalen Erguss einen kleinen Schritt in meine Richtung machte, um sofort wieder zu stoppen. Das Lächeln fällt dann meist auch gleich in sich zusammen und weicht ’nem etwas irritierten Gesichtsausdruck. :)

  3. augi5. April 2008 at 12:39

    „schatzi – du bist ja ganz süß… aber was ich bisher von der steuer wegen greenpeace wiederbekomme reicht meinem gewissen. also verzupf‘ dich! is‘ nicht persönlich gemeint“ habe ich einem (wirklich schnuckeligen) DRK-missionaren (oder ja – besser: ritter) vorgestern gesagt. er meinte nur: „bleib so wie du bist!!!“. wie darf ich das jetzt vertsehen?

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