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Autor: Ursula Demitter

Dopebeatz damals und heute: Finest Ego Monthly Mix #032 „Kaleidoscope“ mixed by Nachtschade

Ich habe diesen Mix schon seit ein paar Tagen im Reader, aber bisher keine Zeit gehabt den auch zu hören. Hier geht es gerade drunter und drüber. Drei Jahre des KFMW Adventskalenders sind gemeinsam mit dem grandiosen Soundcloud-Account von Rico Passerini offline gegangen und aktuell nicht mehr im Netz. Ich bin gerade dabei, die 75 Mixe erneut auf die Soundcloud zu uppen und schonmal die diesjährige Ausgabe zu organisieren. Dauert alles, braucht alles mehr Zeit als ich aktuell eigentlich habe. Sei es drum.

Unabhängig davon allerdings schrieb mir gestern Malte von Finest Ego mit dem Hinweis auf diesen Mix und ich dachte, „dann höre ich jetzt mal rein“. Und siehe da: ein herrlicher Bogen, gespannt über dopebeatlastige Klassiker bis hin zu frischen Housesounds, die dennoch gut zum Dope gehen und trotzdem tanzbar. Eine Bremse für stressige Tage wie diese, gemixt von den dem immer guten bel­gi­schen DJ-Duo Nacht­scha­de.

Und die Freude auf den diesjährigen Kalender.


(Direktlink, via r0byn)

Tracklist:
01. DJ Cam – “Dieu Re­con­nai­tra Les Siens”
02. Felix La­band – “Step Two”
03. @Peace – “Home”
04. Air – “Les Pro­fes­si­onnels”
05. Tosca – “Su­zu­ki”
06. Pre­fu­se 73 – “Love You Bring”
07. R.H.C. Fea­turing Plav­ka – “Move Ya (Born Free Dub Mix II)”
08. Night­ma­res On Wax – “Ca­pum­cap”
09. Tom Day & Mons­o­on­si­ren – “Ele­giac”
10. Lo Tide – “Yello Brick”
11. Do­mi­nik Eul­berg – “Ae­ro­naut”
12. Bon­dax – “All In­si­de”
13. Faws – “Take No­ti­ce”
14. Bal­morhea – “Can­dor (Botay Remix)”
15. CFCF – “Co­me­true”
16. To­tal­ly Enor­mous Extinct Di­no­saurs – “Waul­king Song (Lone Remix)”
17. Floa­ting Points – “Va­cu­um Boo­gie”
18. Todd Terje – “Snoo­ze 4 Love”
19. Julio Bashmo­re – “Ribb­le To Ama­zon”
20. Tomáš Dvořák aka Floex – “Game­boy Tune”
21. Four Tet – “Uni­corn”

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Gastbeitrag von Ursula Demitter: Ein Leben in der DDR – Kindheit, Teil 6

Ursula Demitter aus Potsdam ist 67 Jahre alt, lebte und arbeitete in der DDR. Unter anderem bei der DEFA. Heute gibt sie Nachhilfeunterricht und schreibt hin und wieder ihre Erinnerungen von damals in Textdokumente. Da ich ohnehin ein großes Interesse an DDR-Biografien des Alltags habe und möchte, dass derartige Erinnerungen nicht auf irgendwelchen Festplatten verschimmeln und irgendwann einfach den Tod einer Festplatte sterben, packe ich die Texte von Ursula ab jetzt hier in unregelmäßigen Abständen rein. Hier finden sich alle ihrer Texte.

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(Foto: Richard Peter, unter CC von Deutsche Fotothek)

Wir hatten in der Schule viele Angebote, uns nachmittags zu beschäftigen.

Da gab es zuallererst den Schulchor, geleitet von der Musiklehrerin, die ein enges Verhältnis zu den Schülern pflegte und die sehr verehrt wurde. Eine Gruppe auserwählter Schüler durfte sie sogar zu Hause besuchen. Ich gehörte nicht dazu, hatte irgendwie den Anschluss verpasst und war furchtbar neidisch. Später , als wir älter wurden, war ich froh, mit einer Lehrerin nicht so befreundet zu sein. Man konnte sich leichter von ihr abwenden.

In den unteren Klassen hatten wir in der Schule noch das Fach „Handarbeit“, oder hieß es „Nadelarbeit“? Es gab wohl beide Begriffe. Der Unterricht fand für die ganze Klasse statt, also auch für die Jungs. Später, so ab der sechsten Klasse, fiel das Fach weg. Ich glaube, die Lehrerin ging in Rente.

Es begann ganz harmlos mit ein paar Häkelmaschen und ein bisschen Stricken. Dann sollten wir einen Beutel stricken, damit wir das seitliche Maschenabnehmen, das man zum Strümpfestricken braucht, lernen konnten. Ich war in dem Fach nicht begabt, denn meine Motorik hielt sich in Grenzen. Obwohl auch bei uns zu Hause unter Omas Anleitung hauptsächlich das Stricken hochgehalten wurde, hatte ich im Handarbeitsunterricht keine Chance. Wenn wir Hausaufgaben bekamen, strikte meine Oma immer heimlich ein Stück an meinem Beutel. Leider sahen ihre Maschen viel gerader und gleichmäßiger aus als meine und so blieb der Lehrerin die Schummelei nicht verborgen.

Irgendwann nähten wir eine Schürze und begannen sie zu besticken. Ich hatte mich für eine Halbschürze aus weißer Baumwolle entschieden. Am unteren Rand sollte eine Kreuzstichkante in Braun, Rot und Grün entstehen. Bis zur Mitte bin ich tatsächlich gekommen. Noch Jahre danach mahnte mich das unvollendete Stück vorwurfsvoll an meine Unfähigkeit zu feiner Handarbeit. Irgendwo bei den angefangenen Näharbeiten, die in dieser Zeit fast jeder Haushalt besaß, denn man konnte um Himmels willen, ein Stück Stoff nicht einfach wegwerfen, lag meine halb gestickte Schürze.

Warum ich später freiwillig in die Arbeitsgemeinschaft Handarbeit gegangen bin, ist mir bis heute ein Rätsel. Na schön, die Lehrerin war sehr nett. Es ging auf den Herbst und es machte nicht mehr so viel Spaß, sich draußen herumzutreiben, weil es schnell dunkel wurde. In der Arbeitsgemeinschaft trafen wir uns einmal wöchentlich für ca. 2 Stunden in einem Klassenzimmer im kleinen Schulhaus. Jegliches Material wurde uns gestellt. Die Lehrerin arbeitete wahrscheinlich ehrenamtlich. Aber genau weiß ich es nicht. Als erstes stellten wir Untersetzer für Kaffekannen her. Eine dicke Paketstrippe wurde umhäkelt und gleichzeitig zusammengefasst. Immer eine Masche umhäkeln und eine Masche zum verbinden mit der vorherigen Runde. Das Garn war billig und ließ sich schlecht verarbeiten. Es hatte keinerlei Spannung. Auch die Farben waren sonderbar: Wir hatten nur Lila, Grün und Grau zur Verfügung.

Nach dem einige Kannenuntersetzer tatsächlich entstanden waren, machten wir uns an einen runden Behälter mit Deckel. Es sollte eine Art Schmuckkästchen werden. Meines wurde tatsächlich fertig, es war halt ein langer Winter. Wenn wir vom Handarbeitskurs nach Hause gingen, war es schon dunkel. Zusammen mit meiner Schulkameradin Regina musste ich vom Dorf Drewitz zum Stern, die endlose Sternstraße entlang laufen. Am Ende der Sternstraße wohnte Regina in einem der letzten Häuser. Dann musste ich allein noch ein Stück unbebauten Feldweg am Kiefernwald entlang, bis ich unsere Straße erreichte, die beleuchtet war und in der ich mich sicher fühlte. Einmal verfolgte uns ein Radfahrer, der sich seinen Pullover über den Kopf gezogen hatte. Wir begannen zu rennen. Plötzlich fuhr er mitten zwischen uns hindurch und rief: Huhu. Wir rannten jeder in eine Richtung wie um unser Leben. Keine drehte sich nach der anderen um. Zu Hause schämte ich mich dann, dass ich jede Art von Solidarität hatte vermissen lassen. Aufgeregt schilderte ich den Vorfall und konnte die Person sehr genau beschreiben. Auch einen Sack mit Grünfutter auf dem Gepäckständer hatte ich gesehen. Meine Schwester wusste sofort, wer aus ihrer Klasse jeden Abend Karnickelfutter holen musste. Es war Kalle. Am nächsten Tag suchte meine Mutter die Familie auf, Kalle wurde befragt, überführt und bekam von seiner Mutter zwei schallende Ohrfeigen. Der Fall war erledigt, die Untat gesühnt. Trotzdem machte ich von da an um Kalle immer einen großen Bogen.

In der siebenten Klasse wurde uns mitgeteilt, dass in Potsdam eine Station Junger Techniker eröffnet worden sei. Wir bekamen Hinweise auf verschiedene Arbeitsgemeinschaften, unter anderem Fotografie. In unserer Familie wurde das Fotografieren immer wichtig genommen. Zu unzähligen Anlässen mussten wir drei Geschwister uns aufstellen, lächeln, „nicht bewegen“, rief meine Mutter, bis sie das Bild im Kasten hatte. Es waren immer die gleichen gestellten Szenen, nie war ein Schnappschuss darunter. Dennoch war meine Mutter auf ihre Kamera Marke Voigtländer mit ausziehbarem Lederbalgen unendlich stolz. Sie hatte sie sich als junges Mädchen von einem der ersten Gehälter gekauft.

Eine Gruppe von acht oder zehn Mädchen aus beiden siebenten Klassen meldete sich zum Fotoclub. Wir fuhren immer mit dem Fahrrad bis zur Schlaatzstraße. In der Friedhofsgasse in einer Villa aus gelben Klinkern war der Club. Die Fotoarbeitsgemeinschaft hatte ihr Domizil im Souterrain. Dort lernten wir nicht nur Fotografieren sondern auch den ganzen labortechnischen Ablauf: Negativentwicklung in der Entwicklerdose, Film aufhängen, trocknen lassen. Dann mittels Vergrößerungsgerät Positive herstellen und mit Plasteklammern in die drei bekannten Schalen werfen: Entwickler, Wasser, Fixierbad. Wir waren eine sehr fröhliche Arbeitsgemeinschaft bestehend aus Mädchen der zwei siebenten Parallelklassen. Ich erinnere mich, dass ich verwundert war, dass manche Mädchen, die in der Schule so absolute Schlusslichter waren, so nett und lustig sein konnten. Das heißt, wir waren in unserer bisherigen Freizeit in recht sortierte Gruppen geteilt. Ich unterschied in der Schule zwischen den „Guten“, die meine Freunde waren und den „Doofen“, mit denen es nicht lohnte, sich zu befassen. Die Teilnahme in der AG sowie das ganze fototechnische Material, das wir nach und nach vernichteten, kostete uns keinen Pfennig. Wir durften soviel Bilder wie wir wollten anfertigen und mit nach Hause nehmen. Auf unsere eigenen Porträts waren wir immer besonders scharf. Die Foto AG hat mir später geholfen, eine Lehrstelle zu bekommen. Als ich mich nach der zehnten Klasse im DEFA-Spielfilmstudio um die Ausbildung als Filmkopierfacharbeiter bewarb wurde ich gefragt, warum gerade etwas mit Film. Da konnte ich natürlich vom Leder ziehen und in den wärmsten Farben meine Begeisterung fürs Fototechnische Fach schon seit der siebenten Klasse schildern. Das saß. Ich hatte den Job.

Zu Schuljahresbeginn waren wir in der Drewitzer Schule plötzlich zwei siebente Klassen geworden und das kam so. Die Enklave Steinstücken, die zu Westberlin gehörte war bis ca. Mitte der Fünfziger Jahre noch nicht eingezäunt. Es standen einfach nur Schilder da. Man wusste, die eine Straßenseite war Westen und die andere war Osten. Rund um Steinstücken patrouillierten DDR-Grenzpolizisten in Doppelstreife, voll bewaffnet. Ein kleine Grundschule, die sogenannte „Waldschule“ grenzte so nah an Steinstücken, dass man aus dem Fenster in den Westen hätte springen können. Das war natürlich Unsinn, denn man konnte sowieso dorthin ungehindert laufen. Jedoch wurde die Schule geschlossen, die Schüler auf umliegende Schulen verteilt und das Gebäude abgerissen. Diese, irgendwie doch schon vorbereitenden Maßnahmen wurden knapp drei Jahre vor dem Mauerbau getroffen.

Auf der Westseite der Steinstraße gab es einen kleinen Tante Emma-Laden. Von Klassenkameraden habe ich damals gehört, dass sie im Westladen eingekauft hatten. Sie warteten, bis die Grenzposten auf ihrer Runde außer Sichtweite waren und flitzen dann auf die andere Straßenseite . Mit ein paar Westgroschen von Oma wurde Kaugummi gekauft, der nicht nur wunderbar duftete, sondern in jedem der flachen Päckchen, wenig größer als eine Streichholzschachtel, lag ein farbiges Schauspielerfoto einer Hollywoodberühmtheit. Viele von uns sammelsten und tauschten die Bilder. Meine Schwester besaß einen Campingbeutel aus braunem Kord aus dem Westen. An der Seite war ein Täschchen aus durchsichtiger Plaste mit einem Druckknopf. Aus diesem Plastesfenster lächelte vom Kaugummibildchen Harry Bellafontee. Ich hatte keinen Campingbeutel und ich liebte Harry Bellafonte von Anfang an. Gleich nach der Wende sah ich ihn das erste Mal leibhaftig im Konzert im ICC. Er wurde von einem Damenbackround begleitet, damit man nicht merken sollte, dass er die großen Höhen nicht mehr packte. „Harry,“ dachte ich, „wir haben zu lange gewartet“.

Ich hätte mich nie getraut, in Steinstücken einkaufen zu gehen, denn es war „politisch“ und streng verboten. Außerdem hatte ich kein Westgeld zu meiner eigenen Verfügung.

Einmal kam meine Schwester von der Tanzstunde. Weil es schon spät war und sie sich graulte lief sie auf der Westseite entlang, denn die hatten schließlich Laternen. Zwei junge Grenzer hielten sie auf und verlangten, sie solle auf der Ostseite laufen. Sie wollten ihr Angst machen, kraft ihrer Wassersuppe als Grenzorgane. Aber meine Schwester durchschaute das Geschehen und blieb stur. Sie zeigte keinen Ausweis und gab keine Auskunft wo sie herkam und ging auch nicht auf die Ostseite. Sie fand die beiden Jungs einfach frech. Das Ganze endete mit einem Telfonanruf bei uns zu Hause. Spät abends musste sich mein Vater ins Auto setzen um meine Schwester auszulösen. Die Sache hatte kein Nachspiel. Niemand fand etwas dabei. Auch kann ich mich nicht erinnern, dass meine Eltern meiner Schwester Vorwürfe gemacht hätten. Es war halt dumm gelaufen. Eine Plänkelei unter jungen Leuten.

Später, noch vor der Mauer, wurde ein Zaun um Steinstücken gebaut und die Bevölkerung bekam einen Korridor durch den sie nach West-Berlin fahren konnten. Er wurde auf halber Strecke von DDR-Grenzern kontrolliert. Die Mauer, die den Korridor vom Osten trennte, sah schon genau so aus, wie später die Berliner Mauer. Als die Mauer stand, habe ich davon gehört, dass ein amerikanischer Hubschrauber in Steinstücken gelandet sei. Es war eine Provokation gegen die DDR hieß es und man könne froh sein, dass die Russen nicht geschossen haben. Der Laden hatte dann auch schon dicht gemacht.

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Gastbeitrag von Ursula Demitter: Ein Leben in der DDR – Kindheit, Teil 5

Ursula Demitter aus Potsdam ist 67 Jahre alt, lebte und arbeitete in der DDR. Unter anderem bei der DEFA. Heute gibt sie Nachhilfeunterricht und schreibt hin und wieder ihre Erinnerungen von damals in Textdokumente. Da ich ohnehin ein großes Interesse an DDR-Biografien des Alltags habe und möchte, dass derartige Erinnerungen nicht auf irgendwelchen Festplatten verschimmeln und irgendwann einfach den Tod einer Festplatte sterben, packe ich die Texte von Ursula ab jetzt hier in unregelmäßigen Abständen rein. Hier finden sich alle ihrer Texte.

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(Foto: Richard Peter, unter CC von Deutsche Fotothek)

Am Ende unserer Straße begannen die Drewitzer Felder . Im letzten Haus wohnte Anna, meine Klassenkameradin. Jeden Morgen holte ich sie zur Schule ab. Zusammen mit anderen Kindern hatten wir einen weiten Schulweg, den immer alle „Sternkinder“ zusammen gingen.

Annas Eltern hielten einen Boxer, der Jupp hieß. Jupp hatte seinen Platz im Schuppen nur durch eine dünne Bretterwand von der Ziege getrennt. Uns Kinder ließ man mit dem Hund an der Leine nicht allein gehen. Er war zu ungebärdig und zu stark. Es gefiel mir auch nicht, dass er ständig sabberte. Wir durften aber mitkommen, wenn Annas Vater mit dem Hund in den Wald ging. Damals gab es mitten im Wald an der Drewitzer Sternstraße eine wilde Mülldeponie, wohin anscheinend die Drewitzer früher ihren Müll gebracht hatten. Manchmal fanden wir altertümliches Zeug, wie kleine Puppen aus Porzellan, die aber immer beschädigt waren.

Die Siedlung am Stern hatte sich in den zwanziger und dreißiger Jahren aus einer Wochenendsiedlung von gut bürgerlichen Berliner Familien entwickelt. Insofern hatten unsere Funde, auch wenn sie fast immer beschädigt waren, aus unserer Sicht etwas exotisch Vornehmes. Edles Porzellan, Nippes, Gläser, Kerzenhalter, sogar alte Spitze war dabei. Meine Eltern hatten mir verboten mit zur Müllkute zu gehen. Aber ich hielt mich nicht dran, weil ich fand, mit Annas Vater war ein Erwachsener dabei.

Einmal kam ich um Anna abzuholen und wurde in die Küche gebeten, sie war noch nicht fertig. Auf dem Herd brodelte die Brühe mit dem Freibankfleisch für das Hundefutter leise vor sich hin. Ohne Gewürze versteht sich. Es roch nicht gerade verführerisch. Aber Annas Mutter ging völlig selbstverständlich mit Messer und Gabel an das Fleisch, schnitt sich kleine Stückchen ab und verzehrte sie genüsslich. Es schüttelte mich. Eine zeitlang musste ich morgens, wenn ich Anna abholte immer eine Tasse Ziegenmilch-Kakao trinken. Annas Mutter hatte beschlossen, dass ich zu dünn und zu blass wäre. Es schmeckte sehr nach Ziege, aber ich wagte aus Höflichkeit nicht abzulehnen. Annas Mutter war Polin und sprach gebrochen Deutsch mit starkem Akzent. Ein gut gemeinter Satz in ihrer etwas drastischen Erziehung hieß zum Beispiel: „Anna du dumme Zicke, du, spiel nich immer mit die alte Eule..“. Das war der freundliche Hinweis, dass sie ihre Puppe weglegen und der Mutter helfen sollte. Mit Annas Mutter sind wir viel in den Wald gegangen. Dabei musste Jupp immer mit, weil die Mutter im Wald große Angst hatte. Später hat eine Nachbarin behauptet, Annas Mutter musste aus Polen verschwinden, weil sie mit den Deutschen kollaboriert hatte.

Wir suchten Pilze, pflückten Blaubeeren und Preisselbeeren. Es gab wilde Himbeeren, wilde Brombeeren und kleine wilde Erdbeeren. Den ganzen Sommer gab es viele verschiedene Pilze. Annas Mutter wusste immer, wo man etwas finden konnte. Fast immer liefen wir das Breite Gestell bis zur Brücke über die Autobahn und sahen auf die Autos hinunter. Da fuhren echte Westautos, was wir spannend fanden. Die älteren Kinder gingen häufig allein zur Autobahn. Sie winkten den Autos wofür ihnen manchmal Kaugummis oder Schokolade zugeworfen wurde. In der Schule wurde uns gesagt, das dies verboten sei.

In der Nähe der Brücke machte die Autobahn eine ziemlich scharfe Kurve.

Einige Male im Jahr kam es vor, dass ein LKW dort die Kurve nicht kriegte und umkippte. Da immer einige Drewitzer Kinder in der Hoffnung auf Beute an der Autobahn herumlungerten, sprach sich so ein Unfall in Windeseile herum. Dann machten sich die größeren Jungs auf den Weg, um etwas von der Ladung zu erwischen. Einmal waren es Nylonstrümpfe, wie ich dann in der Schule hörte. Die Jungs sammelten Sie heimlich auf und versteckten sie unter ihren Trainingsblusen. So etwas trugen damals fast alle. Wir mussten ja zu Hause unsere Schuklamotten aussziehen und in Trainingsanzügen herumlaufen. Wir waren sowieso abenteuerlich gekleidet. Wir besaßen Winterhosen, die meine Mutter aus einer umgefärbten alten Wehrmachtsuniformen genäht hatte. Dann gab es noch eine echte Kletterweste der Hitlerjugend, die alle drei Kinder nacheinander trugen. Die Schnallen und Aufnäher hatte meine Mutter abgetrennt und die Jacke dunkelbraun gefärbt. Es war ein sehr beliebtes Kleidungsstück unter uns Kindern, sollte aber eigentlich nicht zur Schule angezogen werden. Meine Schwester und ich besaßen weiße Folkloreblusen, die meine Mutter aus Fallschirmseide genäht hatte. Den Fallschirm hatte sie kurz nach dem Krieg heimlich aus einem Waldstück mitgeschleppt, was natürlich auch verboten war. Dazu trugen wir rote Trachtenröcke, die aus einer ehemaligen Nazifahne enstanden waren. Da wo der Aufnäher mit dem Hakenkreuz gesessen hafte, war der Stoff dunkler. Damit es nicht auffiel, stickte meine Mutter mit Perlgarn große Schwarze und weiße Punkte auf.

Einmal kippte kurz vor Weihnachten ein LKW mit einer Ladung Apfelsinen um. Mein Bruder war gerade wieder mit an der Brücke. Er stopfte sich immer wieder die Trainingsbluse voll, rannte in den Wald und legte ein Versteck an. Beim letzten Mal erwischten ihn die Russen und er musste seine Beute zurücklassen. Weil die Autobahn Transitstrasse nach Westberlin war, kamen bei solchen Unfällen immer die Russen, sperrten alles ab und scheuchten die Kinder weg. Doch unsere Familie hatte in dem Jahr zum Weihnachtsfest für jeden in der Familie mehr als drei oder vier Orangen. Es kam uns vor, wie der größte Luxus. In anderen Jahren hatte meine Mutter immer fünf Apfelsinen, also für jeden eine, in Westberlin gekauft und eingeschmuggelt. Sie gehörten traditionell auf den Bunten Teller, sonst war es kein Weihnachten.

Der Verkehr auf der Autobahn war sehr mäßig. So kam es, dass niemand etwas dabei fand, dass die Trecker mit den Langholzfuhren, ja sogar manchmal auch Pferdefuhren mit Holzstämmen auf der Autobahn fuhren. Unsere Eltern wollten eigentlich nicht, dass wir uns dort aufhielten. Es schien ihnen gefährlich. Bei einem Sonntagsspaziergang mit der ganzen Familie hatte mein Vater festgestellt, dass das Brückengeländer total morsch war. Später fuhr ein Junge aus Drewitz mit dem Fahrrad dagegen, das Geländer brach und er fiel auf die Autobahn. Weil er den Grünstreifen erwischt hatte, war der Sturz nicht tödlich. Da lag er nun und wurde von einem Langholzfahrer gefunden. Handys gab es noch nicht, die drei einzelnen Häuser im Priesterweg, die am nächsten lagen, hatten garantiert kein Telefon. Ich kann es mir kaum vorstellen, aber es ging die Legende um, der Fahrer hätte den Jungen oben aufs Holz gelegt und ins Dorf gebracht. Naturlich wusste im Dorf später jeder über einen so spektakulären Vorfall Bescheid. Es ging die Rede, der Verunglückte hätte einen Schädelbruch gehabt und wurde körperlich wieder gesund, soll aber im Kopf etwas zurück behalten haben.

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Gastbeitrag von Ursula Demitter: Ein Leben in der DDR – Kindheit, Teil 4

Ursula Demitter aus Potsdam ist 67 Jahre alt, lebte und arbeitete in der DDR. Unter anderem bei der DEFA. Heute gibt sie Nachhilfeunterricht und schreibt hin und wieder ihre Erinnerungen von damals in Textdokumente. Da ich ohnehin ein großes Interesse an DDR-Biografien des Alltags habe und möchte, dass derartige Erinnerungen nicht auf irgendwelchen Festplatten verschimmeln und irgendwann einfach den Tod einer Festplatte sterben, packe ich die Texte von Ursula ab jetzt hier in unregelmäßigen Abständen rein. Hier finden sich alle ihrer Texte.

Fotothek_df_ps_0004725_Wohnhäuser_^_Gaststätten_-_Restaurants

(Foto: Richard Peter, unter CC von Deutsche Fotothek)

Wir waren also wirklich aus der Stadtmitte an den Stadtrand gezogen. Drewitz war damals noch ein eigenständiges Bauerndorf mit den dafür typischen Strukturen und gehörte noch nicht zur Stadt Potsdam. Es gab ein paar Großbauernhöfe. Noch hatte die Zwangskolletivierung zu Genossenschaften nicht stattgefunden. Dazu die kleine Infrastruktur: Es gab einen Schuster, zwei Bäcker, einen Fleischer, einen Fahrradfritzen, einen Gärtner, einen Frisör, zwei Kneipen, einen Taxifahrer, eine Drogerie und einen kleinen Wäscheladen. Dann noch eine Tischlerwerkstatt , einen Kohlenhändler und den Dorfpolizisten. Natürlich die Schule mit dem kleinen und dem großen Schulhaus und die Kirche, wo jeden Sonntag der Gottesdienst stattfand. Und es gab auch schon den gerade erst neu eingerichteten Konsum. Nach Potsdam fuhr man mit dem Oberleitungsbus über den Bahnhof Drewitz bis zum Rathaus Babelsberg. Von dort mit der Straßenbahn weiter. Die Endhaltestelle des Busses mit dem Wartehäuschen war Treffpunkt für Heranwachsende. Es zog halt die Jugendlichen zur Bushaltestelle, wie die „kleinen Italiener“ zum Bahnhof. (Ein erfolgreicher deutscher Schlager, gesungen von Conny Frohboes in den sechziger Jahren. Kennt heute keiner mehr)

Wir waren Zugezogene, gehörten noch nicht dazu und wurden kritisch beäugt. Aber da wir drei Kinder waren, hatten wir in drei Altersstufen Klassenkameraden, die jede mögliche Neuigkeit über unsere Familie im Dorf verbreiteten.

In Drewitz sprach man irgendwie ein anderes Idiom als in Potsdam. Die Umgangssprache beharrte unerschütterlich auf einer sehr abgespeckten Grammatik. Mich irritierte das zuerst, weil in meiner Familie mehr oder weniger Hochdeutsch, auf alle Fälle aber grammatikalisch richtig gesprochen wurde.

Die Drewitzer hatten es mit dem Maskulin: „Der Radio spielt, der Moped fährt und der Benzin stinkt.“ Das war gängiger Alltag. Am schönsten fand ich einen Zuruf einer Frau für die Fahrschüler nach Schulschluss: „Fährt ihr mit den Bus? Brauchta nich su rennen, der Bus fahrt schon.“

In der neuen Schule war alles anders. Schon dass wir zwei Schulhäuser hatten und dass Jungen und Mädchen in einer Klasse lernten, war für mich neu. Auch wusste ich nicht, dass es eine nette Geste der Aufmerksamkeit war, wenn die Jungen die Mädchen schubsten oder am Zopf zogen. Also ging ich als Kämpfer für Gerechtigkeit dazwischen und bekam ein paar Mal eine aufs Maul, bis ich begriffen hatte, dass es besser war, sich nicht einzumischen. Als Neuankömmling in der zweiten Klasse gehörte ich natürlich in das kleine Schulhaus. Das war ein uraltes Gebäude aus Glindower Klinkern, direkt gegenüber der Kirche. Wir Kleineren hatten einen eigenen Schulhof, der durch einen Zaun vom „großen Schulhof“ getrennt war. Die Pforte war immer offen, damit die Lehrer ungehindert von einem Haus zum anderen wechseln konnten. Aber nie kam es einem der Zwerge in den Sinn, sich auf dem großen Schulhof blicken zu lassen. Auch die älteren Schüler achteten das Verbot, unseren Schulhof zu betreten… War es Disziplin oder Autorität der Lehrer oder Angst vor Strafen? Wer weiß das schon. Jedenfalls war es eine gute Regelung. Gleich in den ersten Tagen meiner Anwesenheit zog die ganz Klasse direkt nach dem Unterricht durch das Dorf. „Zum Religion“ sagten die Kinder. Nur das einzige katholische Mädchen unserer Klasse durfte nicht mit, wofür sie mir sehr leid tat. Ich lief einfach mit, denn als Jüngste in der Familie war ich es gewohnt, mich anzuschließen, ohne zu verstehen, was ablief.

In einem ausgebauten Stallgebäude, an der Kreuzung Neuendorfer zur Trebbiner Straße fand unser Religionsunterricht statt. Offiziell hieß es „Christenlehre“, wie unsere Schwester Ida, die den Unterricht erteilte, immer wieder verbesserte. Schwester Ida war eine evangelische Diakonisse, deren Hände immer wie frisch gescheuert aussahen und nach Kernseife rochen. Sie las uns jedesmal einen Abschnitt aus einer Kinderbibel vor. Das Buch hieß „Das Wort läuft“ und enthielt die biblischen Geschichten in etwas verständlicherer Sprache. Es wurde auch gesungen und gebetet und der ganze Ablauf gefiel mir sehr. Zu Beginn der Stunde sollte sich immer ein Kind melden und die Geschichte von der letzen Woche nacherzählen. Ich erzählte und erzählte, wann immer ich konnte. Die anderen Kinder fanden es nicht so toll wenn sie drankamen und ließen mir den Vortritt. Jedesmal bekam ich bunte Bildchen über biblische Themen, die von einem großen Bogen wie Briefmarken abgerissen wurden.

Eines Tages , als Schwester Ida wieder die Anwesenheit prüfte, kam heraus, dass ich nicht auf ihrer Liste stand. Ich sagte meiner Mutter, „Du muss mich zum Religion anmelden, ich bin noch nicht auf der Liste.“ Das brachte einiges Durcheinander in unsere Familie. Es stellte sich heraus, dass wir alle drei nicht getauft waren und dass sich meine Eltern zu diesem Problem nie ausgetauscht hatten. Ich verlangte kategorisch, sofort getauft zu werden, was nach einigem Hin und her auch tatsächlich stattfand. Eine Taufe musste natürlich im Gottesdienst stattfinden, aber wegen des zu erwartenden Geredes im Dorf legte der Pastor die Taufe kurzerhand in den Kindergottesdienst. Es gab auch zu Hause eine schöne Feier, viele entfernte Verwandte kamen und brachten Geschenke. Plötzlich hatte ich „Patentanten“. Ich fand, dass es sich gelohnt hatte. Um unseren gerade erworbenen Glauben vor dem Dorf zu demonstrieren gingen wir nun jeden Sonntag in die Kirche. Mein Vater kam nur zu Weihnachten mit, sagte aber nie ein Wort dagegen.

Unsere Lehrer in der Schule waren anders, als in der alten Schule in Potsdam. Sie waren sehr nett, nicht so sehr auf Autorität bedacht und es herrschte eine familiäre Atmosphäre. Im Winter durften alle Kinder, die einen weiten Schulweg hatten Hausschuhe mitbringen und sich an den Ofen setzen. Viele Lehrer waren sogenannte „Neulehrer“ von denen meine Mutter immer ein wenig herablassend sprach. Aber sie konnten interessante Geschichten aus ihren früheren Berufen erzählen. Das forderten wir immer am ersten und letzen Schultag ein. Nur der Mathelehrer, der schon ziemlich alt war, las uns an solchen Tagen Balladen vor. Ich fand dass „Der Taucher“ oder „Der Handschuh“ von Schiller ungeheuer spannende Geschichten waren. Unsere Musiklehrerin war auf Volkslieder versessen. Was sollte sie auch machen, die neuen Pionierlieder waren nicht ihr Geschmack. So lernten wir der „Mond ist aufgegangen“ und „Kein schöner Land in dieser Zeit“ und vieles mehr. Die Lieder kannte ich alle schon von zu Hause und wurde schnell ihr Liebling. Bei Auftritten unseres Schulchores musste ich in der ersten Reihe stehen und immer den Anfang der nächsten Strophe leise soufflieren. In den neuen Liederbüchern standen die meisten Lieder verkürzt. Es fehlten immer die Strophen in denen der liebe Gott vorkam. Unsere Lehrerin ließ uns jedes Mal die fehlende Strophe ins Heft schreiben und wir sangen sie mit.

Mein Klassenlehrer in der Unterstufe war früher zur See gefahren und benutze noch das entsprechende Vokabular. „Wenn ich sage ausscheiden, dann ist ausscheiden.“ rief er oft, um uns zur Ruhe zu bringen. Später erfuhr, ich dass dies ein Kommando auf See ist. Einmal schrieb er ein Wort falsch an die Tafel. Ich begann mit ihm zu streiten, aber er blieb dabei. Als ich mich zu Hause bei meiner Mutter beschwerte, drückte sie mir einen Duden in die Hand. Damit marschierte ich am nächsten Tag in die Schule. Wenn ich daran denke, ist es mir heute noch peinlich.

In dem frühen DEFA-Spielfilm „Die besten Jahre“ gibt es eine ähnliche Szene.
Da beschwert sich einer über das mangelnde Wissen des Neulehrers beim Landrat.
„Solange wir nicht genug ausgebildete Lehrer haben“ sagt ihm der ganz ruhig, „wird Blume eben mit h geschrieben.“

Außer der katholischen Anna waren alle Kinder in meiner Klasse Pioniere. Sie besaßen ein blaues Halstuch und einmal in der Woche war Pioniernachmittag. Da durfte ich nicht mitmachen. Es war klar, das ich nicht dazugehörte. Sie machten Wanderungen in die umliegenden Nuthewiesen, sammelten Eicheln und Kastanien für die Waldtiere im Winter und bastelten. Da die Klassenlehrerin, den Pioniernachmittag gestaltete, wurde auch in den folgenden Tagen im Unterricht darüber gesprochen. Immer wenn der Pioniernachmittag begann und ich nach Hause geschickt wurde, war ich sauer. Zu Hause begann ich zu verhandeln. Von meiner Mutter kam nur Ablehnung, aber keine Begründung, kein Argument. In der Schule wurde ich mehrmals gefragt, wann ich denn nun eintreten wolle. Bis es mir zu viel wurde mit der Fragerei und ich sagte: „Nächste Woche“. Ich wurde noch gefragt, ob meine Mutter Bescheid wüsste, was ich eifrig bejahte. Es gab auch kein Schriftstück an meine Eltern. Ich wurde feierlich aufgenommen und bekam das ersehnte blaue Tuch. Vorsichtshalber versteckte ich es noch ein paar Wochen, war dann aber so ungeschickt, dass es irgendwann herauskam. Meine Mutter war beleidigt und ich wusste nicht warum.

Mit den Pioniernachmittagen fuhren wir auch manchmal in die Stadt. Wir lernten das funkelnagelneue Pionierhaus am Heiligen See kennen. Dort sahen wir Filme und Theaterstücke oder wurden zum Basteln angeleitet. Einmal mussten alle Schüler der kleinen Schule in eine Klasse kommen. Der Raum war völlig überfüllt. Dann wurde uns gesagt, dass ein großes Unglück geschehen ist, der Genosse Stalin ist gestorben. Einige größere Mädchen begannen zu weinen. Dann sollten wir eine Schweigeminute halten, was nicht recht gelang. Ich blickte an die Klassenwand. Dort waren vier Köpfe im Profil aneinadergefügt aus Presspappe und mit Goldbronze lackiert. Sogar ich wusste, wer das war: Marx, Engels, Lenin, Stalin.

Ganz andere auch sehr schöne Erlebnisse organisierte die Kirche. Es gab Spielnachmittage im Garten des Pfarrers mit Kaffe und Kuchen, es wurde ein großes Erntefest gefeiert, zu dem wir Kinder Blumenbögen für die Fuhrwerke binden durften. Zu Weihnachten übten wir ein Krippenspiel ein, bei dem ich immer mitspielen durfte. Zum Kindertag spannten die Bauern Fuhrwerke an, die mit Bänken bestückt waren. Wir fuhren ins Nachbardorf und wurden dort mit Spielen beschäftigt und mit Streuselkuchen versorgt.

Die größten Feste fanden im „Lindenhof“ statt. Sie waren mal von der Schule und mal von der Kirche ausgerichtet. Zu Weihnachten spielten wir ein Märchen von der Schule und zu Ostern eins von der Kirche. Auch Fasching wurde gefeiert, was uns Kindern großen Spaß machte.
Um an diesen Feiern teilzunehmen musste man immer ein bis zwei Briketts, eingewickelt in eine Zeitung mitbringen. Damit wurde ein eiserner Ofen gefüttert, der den Saal heizen sollte. Mit den Jahren wurden die kirchlichen Aktivitäten weniger. Inzwischen war eine LPG gegründet und etliche Bauern die nicht einverstanden waren, nach dem Westen gegangen.

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Gastbeitrag von Ursula Demitter: Ein Leben in der DDR – Kindheit, Teil 3

Ursula Demitter aus Potsdam ist 67 Jahre alt, lebte und arbeitete in der DDR. Unter anderem bei der DEFA. Heute gibt sie Nachhilfeunterricht und schreibt hin und wieder ihre Erinnerungen von damals in Textdokumente. Da ich ohnehin ein großes Interesse an DDR-Biografien des Alltags habe und möchte, dass derartige Erinnerungen nicht auf irgendwelchen Festplatten verschimmeln und irgendwann einfach den Tod einer Festplatte sterben, packe ich die Texte von Ursula ab jetzt hier in unregelmäßigen Abständen rein. Hier finden sich alle ihrer Texte.

Fotothek_df_ps_0004701_Stadt_^_Stadtlandschaften_^_Wohnhäuser
(Foto: Richard Peter, unter CC von Deutsche Fotothek‎)

Anfang der Fünfziger Jahre wurde in unserer Familie beschlossen, umzuziehen.
Der Umzug hatte seine Gründe. Das Holländerviertel war damals keine besondere Adresse. Da wohnten einfache Leute in alten Häusern mit sehr einfachen Wohnungen. Meine Mutter hat später behauptet, sie hätte es vermieden, ihre Adresse zu nennen.

Mit den Jahrzehnten waren die Höfe, einst große Gärten, durch Schuppen, Ställe und kleine Handwerksbetriebe zugebaut. Ebenso die Brandgassen, die in ihrer alten Funktion nicht mehr notwendig schienen. Dem Viertel fehlte Luft und Licht. Die Keller waren feucht, da hier auf Sumpf gebaut worden war.

Nachts hörte man zwischen den Geschossen die Ratten unter den Dielen rennen. Es polterte richtig laut und jagte uns Kindern Angst ein. Auch im Keller gab es Ratten. Trotzdem fanden meine Eltern es völlig normal, eins von den Kindern in den Keller zu schicken, um etwas herauf zu holen. Meistens waren es selbstgemachte saure Gurken, die dort in einem Steintopf lagen. Da es im Keller kein Licht gab, bekam man eine Dynamo-Taschenlampe in die Hand gedrückt, die man ständig drücken musste. Vom Hof aus musste die Kellerabdeckung, die mit Gewichten über Rollen lief, angehoben werden. Der Keller stand fast immer ein wenig unter Wasser. Deshalb hatten die Mieter Bretter ausgelegt, die auf Mauersteinen lagen. Darauf balancierte man bis zum Gurkentopf. Dann wurde der Deckel abgenommen. Auf den Gurken lag zur Beschwerung ein Teller, auf dem Teller ein Stein. Beides musste raus. Dann griff man voller Überwindung durch die Kahmschicht und holte mit der Hand die geforderte Anzahl Gurken heraus. Nur schnell, so schnell wie möglich wieder raus. Ab und zu passierte es, das eine Ratte durch den Keller lief. Ich glaube, ich war nur einmal allein im Keller, dann verlangte ich Begleitung.

Eine noch größere Plage für die Bewohner des Viertels waren die Wanzen. Auf mich, ein sehr hellhäutiges blondes Kind, hatten sie es besonders abgesehen. Zweimal im Jahr, so etwa zu Pfingsten und Ende August wurden die Wanzen extrem aktiv. Dann sah ich immer sehr zerbissen aus und kratzte ständig an mir herum. Meine Mutter schämte sich dessen und hatte jahrelang geglaubt, mit äußerster Sauberkeit und regelmäßigem Großreinemachen, könnte sie den Wanzen beikommen. Sie nahm beim Putzen sogar die Betten auseinander und die Bilder von der Wand. In jede Öffnung sprühten wir das damals übliche Insektengift „Mux“ hinein. Wenn ich es recht erinnere, hat sie es sogar mit DDT versucht. Im nachhinein denke ich, es hat uns Kindern mehr geschadet, als den Wanzen.

Durch den Umzug waren von einem Tag auf den anderen, die abenteuerlichen Zeiten mit meiner Straßengang vorbei. Wir waren etwa zehn Kinder verschiedenen Alters. Ich war die Jüngste. Unsere Anführerrinnen waren zwei „große“ Mädchen. Kriemhild hatte brandrote dicke Zöpfe und viele Sommersprossen und war ein Umsiedlerkind. Wir nannten sie „Krimmi“ und nie habe ich gehört, dass sie wegen ihrer roten Haare geärgert wurde. Sie verstand es, sich zu wehren. Die zweite Anführerin, die eigentliche Eleonore hieß, nannten wir „Lori“. Sie gehörte zu einer Familie, die gegenüber der Hausnummer 18 im Hof eine Firma betrieben hatte. Noch lange Jahre konnte man die Firmenaufschrift über dem Torbogen lesen: „Stahlmatratzenfabrik Guderle.“

Wenn es dämmerte fanden wir uns zusammen. Zuerst spielten wir ein bisschen lustlos „Meister, Meister gib uns Arbeit“ oder „Herr Fischer, Herr Fischer, wie tief ist das Wasser“. Dann wurden wir aufgeteilt in Räuber und Polizisten. Das Spiel bei dem wir bis über den Bassinplatz ausschwärmten und uns gegenseitig zu überwältigen versuchten, nannten wir „Räuber und Pulle“.

Am liebsten machten wir „Klingelzug“ oder legten auf den Wegen des Bassinplatzes ein altes Portemonnaie an einem Zwirnsfaden aus. Auf den Faden wurde Sand gestreut und sobald sich ein Erwachsener nach der Börse bückte, zogen wir sie blitzschnell hinter die Hecke, wo wir versteckt lagen. Dann folgte lautes Geschimpfe auf die verflixten Straßengören und wir rannten davon, als hätten wir das Schlimmste zu befürchten.

Lange Jahre gab es um den Bassinplatz und in der heutigen Friedrich-Ebert-Straße noch zerstörte Häuser, eben Kriegsruinen. Es war uns strengstens verboten, diese Grundstücke zu betreten. Trotzdem sind wir bäuchlings in halb verschütteten Kellerfenster gerutscht und haben uns gegenseitig eingeredet, dort noch Schätze zu finden. Ein Wunder, dass alles gut gegangen ist.

Ich war gerade in die zweite Klasse gekommen, als unsere Familie aus dem Holländerviertel zum Jagdschloss Stern zog. Die Siedlung hieß Kolonie Drewitz und gehörte zum Dorf Drewitz, das damals noch kein Teil von Potsdam war. Später wurde das geändert, da waren wir Babelsberger.

Im Juni 1952 wurde es merkwürdig aufgeregt in unserer Familie. Meine Eltern hingen am Radio und machten ernste Gesichter. Mit uns Kindern sprachen sie nicht über ihre Sorgen. Das war immer so, wenn es politisch wurde. Sie hatten Bedenken, dass wir in der Schule etwas ausplaudern könnten, womöglich was Falsches sagten.

Meine Mutter erlaubte mir nicht, zu meiner Freundin zu gehen, was ich überhaupt nicht verstand. Am Nachmittag hörte ich ein lautes Brummen, das die Luft mit Schwingungen erfüllte. Ich lief durch den Vorgarten auf die Straße und sah in etwa hundert Meter Entfernung auf der Bahnhofstraße, die unsere Straße querte, eine Kolonne Sowjetpanzer. Sie kamen vom Güterfelder Truppenübungsplatz und fuhren stadteinwärts. Gemächlich bewegten sie sich vorwärts und wirbelten auf der unbefestigten Straße eine riesige Staubwolke auf.

Über die parallel verlaufende asphaltierte Jagdhausstraße konnten sie nicht fahren.
Die Russen hatten sich gleich 1945 einen Zaun um ihr Planquadrat gebaut und die Straße zur Sackgasse gemacht, weil sie links und rechts der Straße größere Villen besetzt hatten. Vor dem Krieg befand sich dort ein Sanatorium. Wir Anwohner mussten einen beträchtlichen Umweg über die Kohlhasenbrücker Straße machen, um zur Bushaltestelle in der Steinstraße zu gelangen.

Während ich gebannt auf die Panzer starrte, kam meine Mutter aus dem Haus gestürzt, schrie völlig hysterisch irgendwas von „verboten raus zugehen…“ zerrte mich wortlos auf unser Grundstück und verabreichte mir links und rechts eine kräftige Ohrfeige. Danach schloss sie sorgfältig das Gartentor ab, steckte den Schlüssel in die Schürzentasche und ging wortlos ins Haus. Normalerweise wurden wir Kinder nicht verhauen. Ich war acht Jahre alt und verstand die Welt nicht mehr.

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Gastbeitrag von Ursula Demitter: Ein Leben in der DDR – Kindheit, Teil 2

Ursula Demitter aus Potsdam ist 67 Jahre alt, lebte und arbeitete in der DDR. Unter anderem bei der DEFA. Heute gibt sie Nachhilfeunterricht und schreibt hin und wieder ihre Erinnerungen von damals in Textdokumente. Da ich ohnehin ein großes Interesse an DDR-Biografien des Alltags habe und möchte, dass derartige Erinnerungen nicht auf irgendwelchen Festplatten verschimmeln und irgendwann einfach den Tod einer Festplatte sterben, packe ich die Texte von Ursula ab jetzt hier in unregelmäßigen Abständen rein. Hier finden sich alle ihrer Texte.

Potsdam, Holländisches Viertel
(Foto: Max Baur, unter CC von Bundesarchiv‎)

Unsere sonntäglichen Fahrten zu den Verwandten waren abenteuerlich. Manchmal waren Straßen gesperrt, manchmal gab es Kontrollen oder wir fuhren Umwege über unbefestigte Feldwege, um Kontrollen zu umgehen. Einige Brücken, die am Kriegsende gesprengt worden waren, wurden nur notdürftig wieder zusammengeflickt. Wenn wir mit dem Auto darüberfuhren, federten und polterten die Holzbohlen. Dann gab mein Vater immer seinen Kommentar ab: „Na hoffentlich hält sie diesmal noch…“ und man spürte, dass er es ganz ernsthaft meinte.

Ich träumte nachts davon, dass die Brücken unter uns zusammenbrachen. Noch heute fahre ich nicht gern über Brücken und drossele immer stark das Tempo.

Was von den vielen uniformierten Russen zu halten war, blieb mir als Kind etwas unklar. Jedenfalls hatten die meisten Erwachsenen Angst vor ihnen. Wenn wir Kinder an Sonntagen aus der Mittelstraße in unseren Kleingarten auf dem Pfingstberg gingen, kamen wir durch die Puschkinallee am Kapellenberg. Dort wohnten die russischen Offiziersfamilien, die zum Planquadrat des KGB-Städtchens gehörten.

Ein mal bedrohten uns zwei russische Kinder mit Zaunlatten. Meine Schwester, die vom Leben in dieser Zeit am meisten verstand, befahl dass wir weglaufen. Mir leuchtete das nicht ein, da die Kinder kleiner waren und wir waren immerhin zu dritt. „Wir dürfen sie nicht verhauen, sagte meine Schwester, sonst werden unsere Eltern abgeholt.“ Das Wort „abgeholt“ habe ich als Kind oft gehört. Meistens wurde es nur geflüstert und die Leute blickten sich dabei scheu nach allen Seiten um. Jedenfalls genügte in dieser politisch instabilen Lage nur wenige Jahre nach Kriegsende eine einzige Denunziation, dass jemand auf Nimmerwiedersehen verschwand.

Meine Mutter hatte mit den Russen nicht viel am Hut. Mein Vater, der den Krieg erlebt und den Russlandfeldzug miterlebt hatte, sah das anders. „Das sind genauso arme Schweine wie wir, sagte er. Die hat der Stalin verheizt, wie uns der Hitler. Außerdem sprach mein Vater ein wenig Soldatenrussisch. Auf den Fahrten über Land trafen wir oft einzelne russische Offiziere, die zu Fuß unterwegs waren. Dann hielt mein Vater an und lud den Offizier auf Russisch zur Mitfahrt ein. Meine Mutter musste den Beifahrersitz räumen und zu uns Kindern in den fensterlosen Laderaum krabbeln, in dem es auch keine Sitze gab. Das gefiel ihr überhaupt nicht. Erst viel später habe ich begriffen, dass mein Vater fast immer irgendetwas im Auto transportierte was unerlaubt war und zu Komplikationen führen konnte. Bei deutschen Kontrollposten sagte er einfach: „Das gehört dem Russen.“ Viele winkten auch das Auto einfach durch, weil ein Russe neben dem Fahrer saß. Wir hörten als Kinder auch oft von betrunkenen Russen, die in der Stadt am Abend randalierten. Das waren in der Regel einfache Mushiks.

Ich selbst habe es nie gesehen, kenne aber die Erzählungen davon, dass sie von ihren eigenen Leuten ganz fürchterlich verdroschen wurden und dann nach dem Prinzip vier Mann vier Ecken in hohem Bogen auf einen LKW geschmissen wurden. Jedenfalls ist mir noch erinnerlich, dass man, wenn ein Russe zudringlich würde, ganz laut rufen sollte: “Ich gehen Kommandantura“.

Als meine Eltern in diesen Jahren einen Hund anschafften, damit wir Kinder einen Spielgefährten haben sollten, wurde er kurz darauf in der Puschkinallee von einem Russen-LKW überfahren. Der kam mit hoher Gescwindigkeit um die Ecke gebraust, die Bremsen quietschen laut und irgendwie war Chaos. Meine Muttern nahm uns an die Hand und wir mussten weitergehen. Unsere Eltern wollten, dass wir vom Geschehen sowenig wie möglich mitbekommen sollten. Später hörte ich, wie mein Vater meiner Mutter erzählte, dass er sich von einer Anwohnerin einen Spaten geborgt und den Hund neben der Straße auf dem Kapellenberg eingegraben hatte. Das war Rüpel, er war nicht lange bei uns.

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Gastbeitrag von Ursula Demitter: Ein Leben in der DDR – Kindheit

Ursula Demitter aus Potsdam ist 67 Jahre alt, lebte und arbeitete in der DDR. Unter anderem bei der DEFA. Heute gibt sie Nachhilfeunterricht und schreibt hin und wieder ihre Erinnerungen von damals in Textdokumente. Da ich ohnehin ein großes Interesse an DDR-Biografien des Alltags habe und möchte, dass derartige Erinnerungen nicht auf irgendwelchen Festplatten verschimmeln und irgendwann einfach den Tod einer Festplatte sterben, packe ich die Texte von Ursula ab jetzt hier in unregelmäßigen Abständen rein. Ihr erster Text sammelt Erinnerungen aus ihrer Kindheit.

576px-Fotothek_df_ps_0004701_Stadt_^_Stadtlandschaften_^_Wohnhäuser
(Foto: Richard Peter, unter CC von Deutsche Fotothek‎)

Meine früheste Erinnerung liegt kurz bevor ich drei wurde. Unsere Oma gratulierte meiner Kusine zum achten Geburtstag.
Wir waren immer zu viert: Meine vier Jahre ältere Schwester Helga, mein drei Jahre älterer Bruder Jörg, die Kusine Edeltraut und ich, das Urselchen.

In meiner Erinnerung lungerten wir an diesem Tag im Treppenhaus herum und wussten nichts rechtes mit uns anzufangen. Es muss ein Sonntag gewesen sein, sonst hätten die größeren Kinder in die Schule gehen müssen. Unsere Familie wohnte in der Mittelstraße im Potsdamer Holländerviertel.

In der kleineren Wohnung links des Flures wohnte Oma Anna mit Opa Eduard. Wir hatten in der Mitte eine lange schmale Küche, deren Fenster zur Straße lag. Daneben gab es eine großes Wohnzimmer in dem auch meine Eltern auf je einer Couch schliefen. Im Zimmer dahinter befand sich unser Schlafzimmer. Meine Geschwister schliefen im Ehebett der Eltern. Ich schlief die ersten Jahre in einem Gitterbett, später zog ich ins Ehebett um und mein Bruder bekam eine Couch die quer zu unseren Füßen stand. Diese Liegestatt war so stramm gepolstert, dass sie sich nach oben wölbte, wenn keiner darauf lag. Wir nannten sie deshalb „den Walfisch“.

Während die Leute in den anderen Häusern der Straße noch Plumsklosetts hatten, besaßen wir eine richtige Toilette mit Wasserspülung. Mein Vater der Klempnermeister war, hatte für seine Familie diese Annehmlichkeit gebaut. Es war einfach ein Bretterverschlag vom Treppenhaus abgeteilt worden. Da ich noch ziemlich klein war und auf dem Weg zum Klo oft den Lichtschalter nicht fand, kam es vor, dass ich im Dunkeln hin und wieder die Treppe heruntergefallen bin. Das gab natürlich ein Heidengebrüll.

Überhaupt hatte ich ziemlich früh herausgefunden, was man mit Brüllen alles bewirken konnte. Wenn es Streit gab oder ich fand, dass die Älteren mich schlecht behandelten schrie ich aus Leibeskräften. Kam dann ein Erwachsener und fragte nach dem Grund, sagte ich scheinheilig:“ Ich bin nur hingefallen.“ Zum Dank dafür, dass ich nicht gepetzt hatte, mussten die Großen mich nun mitspielen lassen oder mich auf ihre Abenteuer rund um die Häuserblock mitnehmen, was sie auch taten.
In unsere Küche gab es einen Gasdurchlauferhitzer, so dass wir immer warmes Wasser hatten. Kam ich abends vom Spielen nach Hause, musste ich zum Waschen auf einen Hocker steigen, nacheinander einen Fuß ins Waschbecken setzen und dann schrubbte meine Mutter meine Knie mit einer Bürste, manchmal sogar mit Bimsstein.

In unserer Küche gab es eine Gaslampe. Mein Vater hatte diese zusätzliche Lichtquelle eingebaut, weil es zu dieser Zeit sehr oft Stromsperre gab. Dann war die ganze Straße dunkel, nur in unserer Küche brannte munter ein helles sehr weißes Licht. Die Gaslampe durften nur Erwachsene anzünden. Der Mechanismus funktionierte mit einem sogenannten „Strumpf“. Das war eine Art längliches Säckchen aus nichtbrennbarem Material. Daran hielt man ein Streichholz, drehte den Hahn auf und – flup gab es Licht. Den Gasstrumpf durfte man nicht berühren, dann fiel er in sich zusammen. Das war dann eine große Untat, denn der Gasstrumpf musste für viel Geld aus Westberlin geholt werden.

Oft saßen wir bei Stromsperre in der Küche, hatten Kerzen angezündet und meine Eltern sangen mit uns Volkslieder, damit wir am Tisch sitzen bleiben sollten und in der dunklen Wohnung nichts kaputt machen konnten. Man wusste nie, wie lange die Stromsperre dauern würde. Mal war es eine halbe Stunde, mal waren es zwei. Wenn dann plötzlich das Deckenlicht wieder anging und uns in seiner ungewohnten Helligkeit fast blendete, jubelten alle laut .

In Potsdam war eine große Zahl der sowjetischen Streitkräfte stationiert. Man sollte sich als Kind vor ihnen in acht nehmen und sich möglichst von ihnen fern halten. Auch sollte man von niemandem etwas annnehmen. Es wurde behauptet, manche wollen die Kinder vergiften. Die Nachbarsfrau, die Straßenbahnschaffnerin im Schichtdienst war, musste immer über den Bassinplatz rennen, damit sie keiner wegfangen konnte – oder so ähnlich. Mir wurden diese Geschichten nicht wirklich erzählt, aber mitbekommen habe ich sie schon.

Einmal führ ich mit meiner Schwester in der Straßenbahn. Es waren uralte klapprige Wagen mit einem hinteren offenen Perron. Ein großer dicker russischer Offizier wurde auf mich aufmerksam. Er griff in die Tasche, holte ein großes Stück Zucker heraus, das in ein Banderole eingewickelt war und hielt es mir hin. Ich machte mein finsterstes Gesicht, schüttelte heftig den Kopf und verschränkte meine Arme auf dem Rücken. Der Russe lachte, drückte meiner Schwester den Zucker in die Hand und sagte: “Gieb.“ Zu Hause wurde der Vorfall heftig diskutiert und ich hatte natürlich alles falsch gemacht.

Als die DDR gegründet war, wurde es politisch lebendig in unserer Straße. Während wir beim Abendessen saßen, kamen schon mal zwei „Aufklärer“ in unsere Küche und erklärten uns die neue Zeit. Niemand sollte nach West-Berlin fahren und dort sein Geld in Westgeld umtauschen. Nur weil es dort „Wuggi-Wuggi- Schuhe mit dicken Kreppsohlen gab. Darauf sollten wir verzichten, denn das schädigt unseren jungen Staat. Meine Mutter sagte nichts, aber in solchen Momenten sah sie immer aus, als hätte sie Zahnschmerzen.

Noch schlimmer fand sie den Stadtfunk. Noch immer hatte nicht jeder Haushalt ein Radio. Die hatte man beim Einmarsch der Russen unter Androhung schlimmster Strafen , alle abgeben müssen. Also bekamen wir nach russischer Sitte einen Stadtfunk.

Schräg gegenüber von unserem Haus befand sich an der Ecke Mittelstraße/Benkertstraße die Gasstätte „Zum Fliegenden Holländer.“ Die gibt es dort heute noch.

Jeden Sonntag früh um sieben plärrten aus dem Lautsprecher in übelster Tonqualität alle möglichen Kampflieder. Am häufigsten wurde gespielt: „Spaniens Himmel breitet seine Sterne..“ Auf diese Art habe ich das Lied sehr schnell gelernt. Aber meine Mutter knurrte irgendwas von „unmöglichem Lärm..“ und schloss wütend die Fenster.

Mein Vater hatte ein Auto. Das war was ganz besonderes. Alle privaten Autos hatte man entweder in den letzten Kriegstagen an Hitler – oder nach dem achten Mai an die Russen übergeben müssen. Dennoch: Mein findiger Vater hatte schon kurz nach dem Krieg, es mag 46 oder 47 gewesen sein, wieder ein Auto. Das ist eine spezielle Geschichte, ein Abenteuer und reichlich kriminell.

Es war die Zeit der allgemeinen Hamsterei. Alle aus der Stadt fuhren aufs Dorf und verhökerten was irgend einen Wert hatte an die Bauern : Für Essbares. Mein Vater hat solche Fahrten für Bekannte und Freunde erledigt. Es war gefährlich, weil verboten. Aber es fiel immer was ab.

Wir hatten als Familie das Glück, dass wir bäuerliche Verwandte in den havelländischen Dörfern hatten. Von dort bekamen wir zu Essen. Es war nicht viel, aber schon ein Sack Kartoffeln war damals ein unschätzbarer Wert. Die neue Administration stellte überall kurz geschulte Hilfspolizisten ein. Zwischen den Landkreisen waren Kontrollen eingerichtet. Man wollte die Bauern zwingen, alles abzuliefern und durch die Verwaltung gelenkt, der hungernden Bevölkerung gerecht zukommen zu lassen. Das funktionierte natürlich nicht, denn wo ein Mangel ist, da ist kriminelle Energie. Ich erinnere mich, wie wir an einem Sonntagabend von den Verwandten im Dorf Roskow, 12 km von Brandenburg entfernt, nach Hause, nach Potsdam, aufbrachen. Mein Vater besaß einen alten Aero, eine Automarke, die es heute nicht mehr gibt. Es war ein Lieferwagen mit langem Heck. Vor der Abfahrt wurde ein Sack Kartoffeln auf die Ladefläche geschüttet. Darauf wurden Decken gelegt. Dann mussten wir drei Kinder uns darauf legen. Es wurde uns eingeschärft: „Wenn ein Kontrolle kommt, müsst ihr fest schlafen, ihr dürft die Augen nicht öffnen. Und genau das passierte. Die Hilfspolizisten leuchteten mit Taschenlampen in das Auto. Da lagen drei Kinder und schliefen tief und fest. Man verzichtete darauf, das Auto weiter zu untersuchen und so brachten meine Eltern ihre Konterbande sicher nach Hause.

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