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„Sie nennen es nicht Arbeit“ – Netaudio in der Jungle World und mein Interview dazu

Vor drei Wochen habe ich Thomas Ewald von der Jungle World ein Interview zum Thema Netaudio gegeben. Heute ging der dazugehörige Artikel, der letzte Woche schon als Print zu haben war, online.

Es gibt rund tausend Netlabels, die die Musik ihrer Künstler nicht mehr als Ware vertreiben wollen, sondern im Internet verschenken. Für viele Elektro-Bastler erscheint das als Weg, ihre Kreativität auszuleben, andere nutzen das Netz als Karriereforum.

Ich packe mal das Interview als ungekürzte Fassung hier mit rein. Schreibfehler inklusive.

Ist es nicht so, dass viele Künstler diese Art des Vertriebs nur nutzen, um ihren Bekanntheitsgrad zu steigern und dann Geld für ihre Wekre zu verlangen? Gerade im Hinblick auf die Entscheidung von Thinner im letzten Jahr, auch Paidcontent anbieten zu wollen.
Ich hatte da mal was drüber geschrieben, solltest Du vielleicht lesen:

Nein. Ich denke, dass viele der Künstler, die damals unter CC-Bedingungen debütiert haben, nicht daran dachten, mit ihrer Musik mal Geld verdienen zu können. Es ging wahrscheinlich primär darum, seine Musik einer Hörerschaft zugänglich zu machen, die nicht an klassische Vertriebswege gebunden war. Viele vergessen immer noch, dass gerade diese Netaudio-Geschichte keinerlei Grenzen kennt. Jeder, und zwar wirklich jeder, der über einen Internetzugang verfügt, kann immer und überall auf der Welt Musik hören, die er mag und die er nicht in einem Laden kaufen muss. Das ist manchen hier in Europa nicht ganz so bewusst, aber in Südamerika gibt es definitiv weniger Plattenläden als hier. Diese Beschränkung wurde durch Netlabels völlig aufgebrochen. Zumal es zu dieser Zeit kaum Onlinestores für MP3s gab, wie es heute selbstverständlich ist.

Allerdings kann man ganz klar sehen, dass viele Künstler, die mit CC-Musik begonnen haben, heute primär auf Verkauf setzen. Auch weil sie es können, weil es eine Nachfrage gibt, die das Zahlen dafür mit sich bringt. Beispiele dafür sind aus der „ersten Netaudio-Generation“ Marko Fürstenberg, Kollektiv Turmstraße und Daniel Stefanik, die heute gänzlich auf Verkauf setzen. Ich hatte da anfänglich Probleme mit, habe das aber zu akzeptieren gelernt. Es wird sicher noch einige Musiker mehr geben, die diesen Weg gehen werden, andere sind schon dabei.

Ich war der Entscheidung von Thinner gegenüber sehr kritisch und habe auch mit Sebastian Rendenz darüber diskutiert – ich wollte das nicht, sehe das heute allerdings etwas objektiver. Ich habe mein Dogma abgebaut.

Man muss eben sehen, das gerade Thinner unheimlich gute Arbeit geleistet und diverse Künstler gefeautert hat, die dann auch international sehr erfolgreich waren. Fürstenberg, Pheek, Jeff Benett, Move D, Eloi Brunelle haben alle auf Thinner released und wirklich dicke Downloadzahlen mit sich gebracht. Dieser Fame hat dann auch dazu beigetragen, dass Leute ihre späteren Platten gekauft haben. Weil man eben diese Namen mit guter Musik in Verbindung brachte. Das hat einigen Künstlern durchaus Nutzen gebracht. Thinner allerdings hatte da nie wirklich was von. Klar, den Fame, aber der macht eben nicht satt und bezahlt keine Rechnungen. Zumal die Arbeit, die Thinner da machte, weitaus professioneller war/ist, als ich das von klassischen Labels kenne. Die arbeiten wirklich sehr hart und ich denke, dass soll sich dann auch mal finanziell auszahlen.

Seht ihr es als einen politischen Akt, die Musik frei zur Verfügung zu stellen? Oder ist es eher die Lust an der Aktivität?

Sowohl als auch. Als wir uns damals darum bemühten, auf einem Netlabel veröffentlichen zu können, taten wir das primär deshalb, weil wir keine Lust mehr darauf hatten, uns um einen klassischen „Deal“ zu bemühen. Labels die physich veröffentlichten hatten in der Regel kein Interesse daran, Experimente einzugehen. Der Mut zum Risiko war gleich Null. Sie brachten ewig die selben Platten im selben Stil, die sich natürlich recht gut verkaufen ließen. Wir fanden dort mit unserem Sound leider keinen Platz.

Viele dieser Labels gibt es mittlerweile nicht mehr, aber das nur am Rande.

Als wir dann auf Thinner „Eingang nach Draußen“ bringen konnten, wurde natürlich auch etwas Politisches daraus, sich dem kommerziellen Musikvertrieb zu verweigern. Weil wir es dann konnten. Auch ein wenig mit Mittelfinger-Attitüde, klar.

Dazu kommt auch, dass wir uns bis heute stilistisch nie wirklich festigen wollten. Klar, wir machen elektronische Musik, allerdings da dann fast das komplette Spektrum von ganz ruhigem Ambient bis hin zu Drum `n`Bass. Das geht sicher auch auf einem klassischen Label, aber erst dann, wenn man sich bereits einen Namen gemacht hat oder man unter verschiedenen Pseudonymen veröffentlicht. Das wollten wir nie und hatten bei den Netlabels immer freie Hand, was wir wie rausgeben wollten.


Würdet ihr sagen, dass es Qualitätsunterschiede gibt zwischen Künstlern, die scih dank ihrer Gage ein Monsterstudio zimmern können, oder ist es das Equipment völlig ausreichend?

Ganz klar: Nein. Es macht keinerlei Unterschiede in der Qualität, am Ende zählt nur das, was am Ende als Produkt rauskommt. Ob das gefällt entscheiden einzig die Hörer. Viele von denen scheren sich weniger um Soundqualität, sondern hören eher auf die Musik, die durch etwas mindere Qualität durchaus an Charme gewinnen kann. Natürlich kann man so dermassen fett klingende Produktionen wie eine Band wie bspw. Rammstein sie macht, nicht in der Küche aufnehmen. Das gilt generell für große Bandproduktionen, ansonsten sehe ich da keine Grenzen.

Ist es möglich auch Musikgenres in Form von Netaudio zu machen, die akustisch ist. Das heißt bei einer Band, die mit Instrumenten spielt, muss mehr Platz und Technik für Aufnahmen da sein. Das kostet doch mehr als ein Wohnzimmer Studio aus Laptop?

Ja. Das beste Beispiel dafür ist Julia mit Entertainment For The Braindead, die ja gänzlich auf Akustik setzt und damit extrem erfolgreich zu sein scheint.

Klar kostet das mehr und man kommt sicher auch schnell an die Grenzen seiner Möglichkeiten. Dennoch gibt es Bands die das ja in die Reihe bekommen. Allerdings sehe ich den Stand einer Band mit bspw. 5-7 Mitglieder im Netaudio-Bereich auch etwas ambivalent. Die Organisation einer Bandaufnahme ist m.E. noch mal eine andere Kiste. Allerdings ist auch das möglich.

Außerdem denke ich, dass viele Bands einfach noch der klassischen Idee von „Rock n Roll“ anhängen und dazu gehört nun mal eine Platte, denken sich diese wahrscheinlich.

Was haltet Ihr von Micropayment oder auch Spenden? Wäre das ein Weg, den Ihr eines Tages auch gehen würdet?
Nichts. Es gab ja seit Jahren auf der Thinner-Website neben jedem Release dieses „pay what you want“-Button, das jeder hätte nutzen können. Ich weiß nicht, wie das bei anderen Künstlern ist, aber wir haben trotz mittlerweile sechsstelligen Downloadraten damit gerade mal 75,00€ eingenommen. Die Menschen sind nicht wirklich bereit auf diesem Weg Geld für Musik zu geben.

Dazu kommt, dass wir nicht ausschließlich unter CC-Lizenz veröffentlichen. Wir verkaufen mittlerweile auch auf klassischem Wege Platten und CDs. Allerdings werden wir beides auch zukünftig so weitermachen.

Trotzdessen gibt es bei uns Projektintern immer wieder Debatten darüber, wie wir das zukünftig handhaben werden. Ich vertrete immer noch die Meinung, dass CC perspektivisch der bessere Weg ist, Inge sieht das anders. Allerdings helfen derlei Diskussionen auch, das ganze am Leben zu halten und sich verschiedene Türen offen zu halten.

Wie viele Künstler gibt es eurer Einschätzung nach, die von ihrer Aktivität leben können? Und tut es der Musik eigentlich gut, dass ihr Macher eben nicht nur mit Ihr beschäftigt ist, sondern durch andere Tätigkeiten mit denen er seinen Lebensunterhalt bestreitet, freier und inspririerten arbeiten kann?
Im Netaudio-Bereich gibt es sicher niemanden, der von seinem kreativen Output leben kann – zumindest kenne ich keinen. Unabhängig davon allerdings können das ja auch nur wenige, die auf klassische Vertriebswege setzen. Das sind sicher Minderheiten, die davon leben können. Deshalb müssen einfach viele nebenher ihren Lebensunterhalt verdienen, was grundsätzlich ja auch nichts Schlechtes sein muss. Es verschafft einem auch eine gewissen Unabhängig im Umgang mit seiner Musik. Beispiel dafür: wenn wir mal eine Platte machen würden, die sich exorbitant gut verkaufen würde, wäre sicher die Gefahr groß, die nächste dann ähnlich zu machen. Man macht sich da dann etwas abhängig von Verkaufszahlen. Auch weil man es muss, schließlich brauch man die Pinunsen zum Leben.

Und klar ist es gut sich davon nicht leiten lassen zu müssen. Kreativ hat man dann auch die Möglichkeit Experimente zu machen, die auch gerne mal nach hinten losgehen können. Kostet ja nichts.

Ich sage immer: „Um Geld zu verdienen gehe ich arbeiten. Dafür möchte ich keine Musik machen müssen.“ Zumal man ja auch einfach musikalisch mal pausiert, was dann schon wieder schwieriger wäre. Das können sich im Pop-Sektor auch nur jene leisten, die immer noch in großen Mengen Tonträger verkaufen. Alle anderen müssen immer sehen, dass sie mit dem Arsch an die Heizung kommen. Das bedeutet dann eben auch mal einen Gig im Einkaufscenter oder auf den schlimmsten Stadtfesten. Da will ich nicht hin.

Was haltet Ihr von Merchandise, um die fehlenden Einnahmen reinzubekommen.
Ist auf jeden Fall eine Möglichkeit, aber nicht für uns. Dafür fehlt uns die Zeit und irgendwie auch die Motivation. Wir machen das ja nicht um Einnahmen zu generieren, sondern um die Musik irgendwie nach da draußen zu spülen. Wie gesagt: für Einnahmen gehen wir arbeiten.

Was ist die Zukunft von Netmusik? Wird das Publikum nicht irgendwann an der Masse der Künstler und Labels ersticken?
Nein, wird sie nicht. Ich sehe da keinerlei Unterschiede zum klassischen Markt. Ich meine, wenn ich einen Plattenladen gehe, steht auch zu 80% Musik für die ich mich nicht begeistern kann. Gute Musik muss man suchen, man muss sich diese Mühe machen und dass musste man schon immer. Manchmal hatte man Glück, dass jemand anderes etwas Gutes gefunden hatte. Daran hat sich bis heute auch im Netaudio-Bereich nicht viel geändert. Es gibt immer wieder diese Perlen, die gepflückt werden wollen. Man muss sie nur suchen.

Ansonsten bin ich selber gespannt, wo genau das mit der Netmusik hingehen wird. Es gibt immer wieder Künstler, die aus dieser Ecke kommen und dann auf Vinyl veröffentlichen. Andere lehnen das partout ab, wie Planet Beolex, der trotzdem grandiose Musik produziert. Beide Varianten werden bleiben. Auch die Koppelung zum Paid-Content wird sicher häufiger vorkommen.

Wo genau wir uns da sehen, wissen wir im Moment selber nicht so ganz genau. Eigentlich wollen wir immer alles irgendwie.

Und als letzte Frage: Was ist mit Vinyl-Veröffentlichungen, haben diese mehr Charme, als die immaterielen Datenbündel?

Hatte ich mal was zu geschrieben, solltest Du vielleicht lesen.

Pfff. Da bin ich echt leidenschaftslos. Ich habe mir Musik immer zugelegt um sie zu hören. Und nur um sie zu hören, nicht um mir ein Cover anzusehen, oder ein Booklet durch zu blättern. Dazu kommt, dass die heute verbreitetste Weise Musik zu hören, der MP3-Player ist. Da sind so Datenbündel schon extrem praktisch. Man muss da nichts mehr aufnehmen, importieren, taggen. Kopieren – fertig. Finde ich super.

4 Kommentare

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