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Auf den Ziegeln lag der Frost der Nacht. Wenn es nicht windig war, lagen alle noch auf den Dächern und machten aus dem dunklen Rot, was doch immer grau schimmerte, weiße Zelte, die mächtig in den Himmel ragten und schon vom Winter erzählten. Wenn es doch mal windig war, fielen sie zu Hauf von den Dächern und lagen dann gebarsten auf dem Gehweg, den es zu gehen galt. Auch hier waren sie noch weiß bedeckt und man wusste, die warmen Zeiten sind vorbei. Man lief um sie herum, kickte sie hin und her und holte sich Anranzer, von allen Hausmeistern, an denen man, bis man den Weg zur Schule geschafft hatte, vorbei musste. Die Ziegel sollten ganz bleiben und irgendwie den Weg zurück auf die Dächer finden, um die nächtlich enstandenen Löcher auf den Dächern zu schließen. Ziegel gab es wohl nicht so viele und die, die den Weg nach unten noch halbwegs unbeschadet überstanden hatten, sollten wieder rauf. Rauf zu den weißen Zelten, um sie wieder dicht zu machen. Im Regelfall blieben sie dort dann bis zum nächsten großen Wind und fielen wieder auf die Gehwege. Von Glück konnte man sprechen, wenn sie dabei nicht die Säufer erschlugen, die nachts aus der Treffpunkt-Gaststätte ihren Weg nach Hause wankten. Tüpen wie Kutte vielleicht, die es auch damals zu Hauf schon gab.

Auf dem Schulhof ergab sich einem ein ähnliches Bild. Ziegel soweit man sehen konnte. Man musste dann immer schnell ins Gebäude, damit nichts passieren könnte mit den noch kleinen Köpfen. Da hätte auch das Pionierkäppi nichts ausrichten können. Soviel wussten sie. Man schlurfte dann durch das alte Schulhaus, was vor 1945 eine Kommandozentrale für den sich im Bau befindlichen Flughafen war, schaute bei den Hausmeistern vorbei, die unten im Keller die riesigen Öffen heizten, damit es wenigstens halbwegs warm wurde. Sie taten das schwitzend, mit freiem Oberkörper und großen Schippen. Schnell waren sie und gechickt. Sie ließen sich gerne dabei zusehen, es machte sie ein wenig stolz, so eine wichtige Aufgabe erledigen zu dürfen. Wenn mal einer der beiden nicht da war, merkte man das umgehend. Es war kälter in den Räumen. Wenn man genug davon hatte, ihnen beim Schuften zuzusehen, schlurfte man weiter. Zum Werklehrer vielleicht, der in seinem Raum eine große Karte an der Wand hängen hatte. Eine Karte, auf der Flugplatz komplett dargestellt war, so wie Adolf in bauen lassen wollte. Der Werklehrer war ein netter Mann und der einzige, der politisch nicht so verbrähmt war, wie fast alle anderen Lehrer. Er erklärte einem all diese Sachen vom Flugplatz und von dem, wie weit die damals kamen und warum sie nicht noch weiter bauen konnten. Er sammelte alles darüber und bewahrte es in seinem kleinem Raum auf. Nicht um es den Schülern zu zeigen, sondern um es bei sich zu haben. Manchmal lief er am Wochenende mit dem Spaten in der Gegend rum und buddelte irgendwelches Zeug aus der Erde. Man fand sowas spannend damals, man war klein.

Die Klassenräume waren groß, mitunter ziemlich kalt und rochen nach einer Mischung aus nassen Klamotten, Schulstullen, die noch irgendwo in den Bänken lagen, Qualm aus den riesigen Öffen im Keller und manchmal auch ein wenig nach Pisse. Der Gestank von den Toiletten kroch durchs ganze Schulhaus. Auch wenn die Türen alle zu waren. Die Fenster waren undicht und zog es einem immer kalt um den Nacken, wenn man da so saß. Die Jacken mussten auf dem Flur hängen bleiben, so das man sie nicht überziehen konnte. Das ergab ein lustiges Bild, wenn man mal wieder dem Unterricht vor der Tür beiwohnen musste, was ja hin und wieder mal vorkam. Da hingen dann auf einhundert Meter Flur massig viele Jacken zwischen den Türen und sahen so aus, als würden ihre Träger noch in ihnen stecken und alle brav an der Wand stehen. An guten Tagen, wenn man bis zum nächsten Klingeln noch Zeit hatte, verstauschte man einige von denen. Auch über die Etagen. So kam es vor, dass die Tüpen aus der Zehnten, die ganz oben im Haus untergebracht waren, ihre Jacken im Keller wieder fanden, wo die Ersten lernten. Wenn sie rausbekamen, wer dafür verantwortlich war, fanden sie das nicht zum Lachen. Wohl dem, der einen großen Bruder hatte.

Wenn es mal all zu kalt war, beide Hausmeister krank waren, so dass keiner heizen konnte, oder es eben sehr stark stürmte, wurde die Schule ganz geschlossen und man konnte den Weg, wieder mit den Ziegeln kickend, umgehend zurück gehen. Zu Hause wartete der Ofen darauf, dass man ihn fütterte. Asche raus, runter in den Keller, um die Kohlen zu holen anheizen und erstmal für eine halbe Stunde wieder ins Bett kriechen, damit es auszuhalten war. An guten Tagen hatten die Eltern das morgens noch gemacht. An schlechten, wenn auch sie schon weg mussten, war man dafür selbst verantwortlich. Für alle Zimmer wohlgemerkt. Asche raus – Kohle rein. Jeden Tag. Man hat es gehasst. Jeden Tag die Kohlen aus dem Keller schleppen – immer Abends vor dem Essen. Nach nach der halben Stunde unter der wärmenden Decke und dann, wenn die dick zugefrorenen Fenster endlich den Blick nach draußen zuliessen, verließ man das Bett und genoß die wohlige Wärme, die aus dem Ofen bullerte. Solange bis es wieder Nacht wurde und mit ihr die Kälte kam.

Wenn man morgens mal nicht soviel Geduld hatte und auf die Wärme warten wollte, setzte man sich in die Küche und machte alle Flammen das Gasherdes an, schloß die Tür und wärmte sich dort. Genau so, wie ich es heute tue.

Ein Kommentar

  1. Marleen23. Oktober 2007 at 10:27

    schön beschrieben wieder mal. da bin ich froh, daß ich eine heizung hatte.

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