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Kategorie: Täglicher Sinnwahn

Seit nun über 5 Jahren fahre ich jeden Tag mit dem Bus durch diese kleine, graue Stadt im Berliner Umland, die mit dem Spargel. Jedesmal wenn mein Blick auf die kleine Fleischerei fällt, so eine, in der die dicke Frau mit den massiven Händen hinter dem Glastresen immer ein paar Wiener für die Kinder raufpackt, ohne die zu berechnen, frage ich mich, wie es wohl geht, dass man als so kleiner Laden immer noch über genügend Kundschaft verfügt, sich und den Laden damit halten zu können. Es hat sowas Romantisches, es erinnert so an die eigene Kindheit, in der es dort immer mehr Auswahl gab als in den Kaufhallen, zumindest wenn man Glück oder Beziehungen zu dem Inhaber hatte. So alt muß diese kleine Fleischerei wohl schon sein. In den letzten 5 Jahren hat in nächster Umgebung dieses Ladens ein Billig-Discounter nach dem anderen aufgemacht, insgesamt fünf oder sechs Stück an der Zahl. Dennoch hielt sich dieser Laden immer wie eine Festung, der niemand etwas anhaben kann. Bis heute zumindest. Die Rollläden bleiben unten, daran hängt ein handgeschriebener Zettel, der mit“ Werte Kunden,“ eröffnet, den Rest kann man von weit weg nicht erkennen, nur erahnen: Über dem Zettel hängt ein Schild in neonorganger Farbe, „zu verkaufen“ steht drauf. Die DDR überstanden, die Wende überlebt, am Discounter-Kapitalismuswahnsinn zerbrochen. Ich sehe das und das schlechte Gewissen meldet sich um mich zu fragen, wann ich denn das letzte Mal in so einem kleinen Laden war, der die Kindheitserinnerungen so ausfüllt. Ich kann es nicht sagen, kann mich nicht mehr dran erinnern.

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Wenn ich in diese Großraumsupermärkte einkaufen gehe und vor einem scheinbar kilometer langem Regal stehe, wünsche ich mir manchmal die Tastenkombination Apfel + F, um dieses abartig große Angebot überblicken zu können. Diese Sucherei macht mich echt fertig.

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Im TV debattieren sie über „Bildung“, wie sie es nennen – ich wäre schon froh, wenn die Kids Sportunterricht hätten.

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Wenn die Wahlwerbung am Bahnhof „Bezahlbare Mieten für alle!“ verspricht, finde ich das an sich gut, frage mich aber auch, ob die den Wähler tatsächlich für so bescheuert halten, dass dieser glauben würde, Politik könnte darauf Einfluss haben.

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Immer wenn ich heute tagsüber in dem Teil von Berlin unterwegs bin, in dem ich mal gewohnt hatte, frage ich mich ernsthaft, wie ich das dort ausgehalten habe. Ich war wohl jung genug dafür.

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Bernd, Beruf Parkplatzwächter auf Usedom, arbeitet von 06.00-22.00 Uhr, fünf Mal die Woche, dann hat er zwei Tage frei. Die „genießt“ er „sehr“, wie er sagt. Was er verdient, sagt er nicht, aber der Motorroller, den es beim Discounter für 895,00 € gibt, und der ihn täglich auf die Arbeit bringt, verrät, das es für mehr nicht reicht. „Zum Leben zu wenig, zum Sterben zuviel“ sagt er. Eine kleine, deutsche Anekdote.

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Schmeißt doch einfach alle raus, macht den Laden dicht und fangt noch mal von vorne an. Man könnte ja dann, wie damals in der Schule, so in Tip-Top-Schritten sehen, wer die erste Wahl hat, und dann immer immer abwechselnd. Die, die keiner mag, stehen dann zum Schluss immer noch ohne Mannschaft da und gucken beschähmt auf den Boden.

Oder aber Ihr lasst es einfach ganz bleiben.

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Potsdam blutet aus

Wer mal in dieser schönen Stadt hier versucht hatte, eine oder mehrere Veranstaltungen aus dem Boden zu stampfen, wird wissen, dass es schon beim Suchen nach einer geeigneten Location zu Problemen kommen kann. Wir vom Werk und unserer engerer Freundeskreis hat lange immer und immer wieder versucht, dennoch daran fest zu halten, regelmäßig irgendwie und irgendwas, was unserer Auffassung von Party gerecht wird, auf die Beine zu stellen. Bis zu jenem Tag, als das Waschhaus saniert wurde und wir endgültig keine Lust mehr hatten. Aber das nur vorneweg und am Rande.

Es gibt in Potsdam genau drei(!) Locations, die die Möglichkeiten bieten, auch auf unkommerzielle, kreative und alternative Art und Weise Veranstaltungen zu organisieren die mehr als 200 Gäste zu lassen. Zum einen ist es das Archiv, ein abgehalfterter Punkerladen, der in den Neunzigern durch Techno groß wurde und sich mittlerweile daran versucht, dem Spießertum mit Hilfe von Punkern den Rang abzulaufen. Das gelingt ihnen ganz hervorragend. Furchtbare Vorrausetzungen um etwas in die Nacht zu bringen, was der Definition von „Punk“ diesen Pfeifen nicht gerecht wird. Die „Kultur“ beschränkt sich dort auf das, was jene Leute für Punk halten, die dort ein,-und auskehren bzw. dort wohnen.

Zum zweiten gibt es dort den Lindenpark, der in den letzten Jahren offensichtlich versucht hatte, den Preis für das uninteressanteste Angebot ever einzufahren, was ihm auch gelungen sein dürfte. Das konnte weder Panteon Roccoco noch das jährliche Ska-Festival rausreißen. Ich habe nie verstanden, wie man dermassen unattraktive Konzerte/Veranstaltungen so superduper ankündigen zu versucht war. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Fördermittel für diesen Verein eingestellt werden mussten, zumal es bezüglich dieser immer wieder Unstimmigkeiten mit der Stadt gab. Mitarbeiter konnten nicht selten nicht bezahlt werden und irgendwei hat das auch mit den Abrechnungen nicht so wirklich hingehauen, wie man so sagt. Schade drum, aber selber verbockt, was die Betroffenen natürlich und ganz sicher anders sehen mögen. Die Konsequenz dessen ist das kürzlich eingeleitete Insolvenzverfahrens gegen den Lindenpark e.V., was auf kurz oder lang das Ende dieses Ladens sein dürfte. Auch wenn es keiner hören möchte: Die Probleme waren hausgemacht und offensichtlich.

Und dann gab es immer noch den Fels in der Brandung, der immer ein offenes Ohr für neue Ideen und ungewöhnliche Konzepte hatte, auch wenn die immer ein wirtschaftliches Risiko sein mochten: Das Waschhaus. Die Mutter aller Locations in Potsdam, die alles andere war als eine Großraumdisko, die den jetzt bekackten „Kulturstandort Schiffbauergasse“ erst möglich gemacht hat, weil sie die Kultur nach Potsdam brachten, als sie den Laden anfang der Neunziger besetzten und die Wochenenden mit Techno durchballerten. Nun stehen sie neben dem neuen und repräsentativen Hans Otto Theater, einem VW-Design Center und dem Softwareriesen Oracle. Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit bis die Stadt feststellen musste, dass das leicht abgeranzte Waschhaus genau dort nicht mehr rein passen würde. Schlieblich hatte man auch den Fabrikgarten schon so mir nichts dir nichts wegsaniert. Jetzt also, wo Unsummen in die Sanierung des Hauses gesteckt worden sind, stellt die Stadt fest, das die Fördermittel nicht in dem Rahmen ein,-bzw umgesetzt worden sind, wie vereinbart, wenn ich das richtig verstehe. Deshalb wurden nun zum 01.08.2008 jegliche Zahlung von Fördermitteln an den Verein eingestellt. So wie es jetzt erstmal aussieht endgültig. Das könnte bedeuten, dass das Waschhaus sich in Zukunft weder selber tragen noch weiter halten kann. Ein Insolvenzverfahren wird eingeleitet, die Schuldenlast ist einfach zu groß. Ein Ende wäre wahrscheinlich.

Vor Jahren mal meinte ein Freund von mir, der zeitweise im Waschhaus gearbeitet hatte: „Sobald die Stadt auch nur die kleinste Chance bekommen würde, den Laden dicht zu machen, würden sie das tun. Sie würden versuchen, das Geld, zuletzt immerhin jährlich 300000 Euro jährlich aus Land und Bundesmitteln, einzusparen und einen wirtschaftlich arbeitenden Diskothekenbetreiber rein zu setzen.“ Ich habe ihm nicht glauben wollen, obwohl ich wusste, dass Länderfinanzierung nicht nach kulturellen Aspekten funktioniert, sondern dann doch lieber nach finanziellen. Klar. Doch: er hat offenbar recht behalten. Die Stadt will das Waschhaus nicht mehr, obwohl natürlich nicht abzustreiten ist, dass es dort zu Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnungen der Fördermittel gekommen sein muss. Ein gefundenes Fressen quasi für die Stadtväter, wie sie sich hier gerne nennen lassen. Es passt auch nur zu gut ins Bild der Neuen Berliner Vorstadt, in der sich ein Herr Jauch, ein Herr Joop , ein Mathias Döpfner eingenistet haben und eben auch viele andere, die die eigentlichen Bewohner, dieses Viertels, dieser Stadt an den Rand drängen, weil kein Mensch mehr die Kosten dort zu wohnen tragen kann. Alles ist neu saniert, alles ist teuer, alles ist schön und alles hat bitte gesittet und für die Stadt kostenfrei zu funktionieren. Im Idealfall möchte die Stadt auch noch ein wenig Geld an den dort Ansässigen verdienen. In diesem Blickwinkel wäre ein wirtschaftlich geführtes Unternehmen natürlich lieber gesehen als ein e.V. der nicht nur ein Programm macht, dass die Stadtväter nicht nachvollziehen können, sondern denen dann auch noch Geld kostet. Das passt nun nicht mehr ins Bild des „Kulturstandortes“. Verstehe ich, aber es kotzt mich gerade trotzdem extrem an.

Macht das Waschhaus mit aktueller Konzeption nicht mehr weiter, dann war es das mit der freien Kultur in Potsdam. Soviel ist mal klar. Ich bin der Letzte, der so einem Shice wie Unetrschriftenaktionen Glauben schenken mag und denke dennoch, dass das die erste Form der Äußerung des Unmutes sein kann. Deshalb geht hier rüber und hackt euren Namen dort rein. Das auch meine Töchter noch so feiern können, wie ich es einst lieben lernte in den Neunzigern, auch wenn das mit dem Heute kaum noch was zu tun hat. Vielleicht auch raffen wir uns ja auch nochmal auf und machen eine Brainbox, die einzigartig war für Potsdam. Weil wir sie dort machen konnten. Und nur dort.

Unterschriften und mehr Infos: http://das-ist-unser-haus.de/
Website: Waschhaus

In der Stadt brodelt das Thema schon seit ein paar Wochen und ist immer wieder Gesprächsthema, wenn aber die Berliner schon was darüber bringen, wird es allerhöchste Zeit selber was zu machen.

Rettet das Waschhaus – ansonsten kann ich auch endgültig der wieder Preußischen Hauptstadt den Rücken kehren und aufs Land ziehen. Und das meine ich verdammt ernst!

Und wer meint, das ginge ihn alles nichts an, weil er in einer anderen Stadt lebt und so, dem sei gesagt: Du hast ja keine Ahnung, was dieser Laden in dieser Stadt hier bedeutet. Und: der Laden in dem Du großgeworden bist könnte der nächste sein, so denn er überhaupt noch existiert. Sie machen uns ein – überall. Mediaspree war nur der Anfang.

Wenn ich sage, dass der Laden es wert, erhalten zu werden, so wie er ist, dann kann man mir da vertrauen.
Also: Hin da und unterschreiben. Jetzt.

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