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Nach fast 9 Jahren fragt man sich immer noch, wie ein gefesselter Asylbewerber sich in einer Einzelzelle selber anzünden konnte

Oury Jalloh wurde am 07. Januar 2005 in Dessau festgenommen. Er soll dort gemeinsam mit anderen Frauen belästigt haben. Laut Aussage der an dem Tag dort auf ihn treffenden Streifenpolizisten soll er diese beschimpft haben. Als aus Sierra Leone stammender, der keine Papiere bei sich hatte, wurde er festgenommen. Sein Asylantrag wurde zuvor abgelehnt, sein Aufenthalt wurde geduldet. Laut eines Gutachtens hatte der damals 37-Jährige, der sich selber als 21-Jähriger ausgab, mehr als zwei Promille Alkohol im Blut, außerdem Spuren von Cannabis und Kokain.

Soweit lassen sich die vermeintlichen Hergänge dieses Vorgangs halbwegs zusammentragen. Was danach mit und vor allem was Oury Jalloh geschah, ist bis heute nicht endgültig aufgeklärt. Die später alarmierte Feuerwehr konnte ihn nur noch tot bergen. Er war in seiner Zelle verbrannt. Beteiligte Polizisten gaben später an, bei der Durchsuchung Jallohs ein Feuerzeug übersehen zu haben, welches dieser dann wohl benutzt hatte, um seine Matratze und schließlich sich selbst zu entzünden. An dieser Darstellung gab es immer ganz zurecht starke Zweifel, zumal dieses Feuerzeug bei einer ersten Durchsuchung in der Zelle nicht gefunden wurde, später aber auf die Asservatenliste nachrückte. Zudem wurden an diesem keinerlei Spuren von Jalloh gefunden, die wohl aufgezeichneten Videobänder von der Durchsuchung der Zelle sind verschwunden.

Am 27. März 2007 begann vor dem Landgericht Dessau-Roßlau der Prozess um den Tod von Oury Jalloh. Der zuständige Dienstgruppenleiter musste sich wegen Körperverletzung mit Todesfolge verantworten, der mitangeklagte Kollege wegen fahrlässiger Tötung.

[…]

Nach der Darstellung der Staatsanwaltschaft soll es Jalloh trotz der Fesseln gelungen sein, ein Feuerzeug aus seiner Hose zu holen, ein Loch in die kunstlederne Matratze zu bohren und den darin befindlichen Schaumstoff zu entzünden. Gleichwohl trügen der durchsuchende Polizeibeamte und der Dienstgruppenleiter Mitschuld am Tod des Gefangenen. Der durchsuchende Beamte habe bei der Durchsuchung Jallohs dessen Feuerzeug übersehen. Der Dienstgruppenleiter soll den mehrfach ausgelösten Feueralarm minutenlang ignoriert haben. Bei einer sofortigen Reaktion, so die Anklageschrift, „hätte er Oury Jalloh das Leben retten können“.

[…]
Am 8. Dezember 2008 wurden die Angeklagten freigesprochen. In seiner Begründung bekräftigte der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff das Urteil als „einfach nur ein Ende, das formal sein musste“. Dabei warf Steinhoff der Dessauer Polizei „Schlamperei“ vor und kritisierte die „Falschaussagen der Beamten“, die jede Chance auf ein rechtsstaatliches Verfahren sowie die Aufklärung des Sachverhaltes verhindert hätten.
(Wikipedia)

Gegen dieses Urteil Urteil legten sowohl Staatsanwaltschaft als auch Nebenklage Revision ein. Im Dezember 2012 wurde der Dienstgruppenleiter wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe in Höhe von 10.800 Euro verurteilt. Mit dem Urteil ging das Landgericht Magdeburg über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus, die auf eine Geldstrafe von 6300 Euro plädiert hatte. Der Freispruch für den zweiten Polizisten war inzwischen rechtskräftig geworden.

Die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ hat nun ein neues Brandgutachten erstellen lassen – es legt nahe, dass sich Oury Jalloh nicht selbst angezündet hat, wie die Polizei behauptet. Daraufhin erstattete die Initiative Strafanzeige bei der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe wegen Totschlags oder Mordes gegen unbekannte Polizeibeamte. Laut Gutachten sei es nicht möglich, ein Feuer dieser Art ohne die Zuhilfenahme von Brandbeschleunigern zu entfachen. Diesen in einer Zelle vorzufinden und dann in gefesseltem Zustand über sich schütten zu können ist schlicht unmöglich.

Das es für diese Erkenntnis nun fast 9 Jahre brauchte, ist nahezu unfassbar. Was genau an diesem Tag auf dem Revier geschah, ist für keinen genau nachvollziehbar. Außer eben für jene Polizisten die Vor Ort waren und sich scheinbar erfolgreich der Wahrheit verwehrend durch mehrere Instanzen gelogen haben, und dafür zum einen mit einem Freispruch, zum anderen mit einer Geldstrafe belohnt wurden.

Bleibt zu hoffen, dass die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe jetzt endlich mal den Finger zieht, und für Klärung und vor allem für Aufklärung im Fall von Oury Jalloh Sorge trägt. Nach 9 Jahren wäre es dafür an der Zeit. Auch dafür, festzustellen, was in den bisherigen Ermittlungen und Verhandlungen schief gelaufen ist. Denn schaut man sich an, welche Ungereimtheiten es gerade im Hinblick auf die Ermittlungen zu geben schien, muss man sich fast zwangsläufig fragen, ob da nicht vielleicht ganz bewusst Fakten übersehen und verschwiegen wurden. Soll mal wieder einer sagen, dass es so was in Deutschland nicht geben könnte.

Hier das Video der heutigen Pressekonferenz der Initiative.

2 Kommentare

  1. Herr Schwarz12. November 2013 at 23:20

    :-(
    Ich will mir garnicht ausmalen,wieviel Fälle es gibt,die keine solche Initiative hinter sich…
    …lassen wir das….
    …das Ding ist schlimm genug.

    „überraschende Informationen“ *kopfschüttel
    http://www.mdr.de/sachsen-anhalt/dessau/gutachten-oury-jalloh-nicht-selbst-angezuendet100_zc-22763fc5_zs-f9a54ada.html
    Anm:Die Staatsanwälte die ich bisher „kennenlernte“,konnten nachts am Telefon mal schnell ne Hausdurchsuchung springen lassen.
    Mit nem Pups als Indiz.

  2. Speravir14. November 2013 at 02:38

    Dazu passt das hier leider ziemlich gut:
    Auf Arte wurde am letzten Dienstag kurz nach Mitternacht (also im Montagsprogramm) der Dokumentarfilm „Revision“ ausgestrahlt (Wikipedia: Revision (Film)), vermutlich nur noch bis nächsten Montag in der Arte-Mediathek: Revision | ARTE (oder per Mediathek-View herunterladen …)

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