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Schlagwort: GDR

Potsdam 1990: Mit der Straßenbahn vom Platz der Einheit zur Kastanienallee

Ich bin zwar in dieser Stadt geboren, aufgewachsen allerdings bin ich 30 Kilometer östlich von ihr und bis zum Fall der Mauer war ich auch verhältnismäßig selten in Potsdam. Auch weil die Wahrscheinlichkeit H-Milch, Werder Ketschup oder einen neuen Kotflügel für Vaters Trabbi zu bekommen in Berlin immer höher war, weshalb die Eltern dann eher 3-4 Mal im Jahr den Weg nach Berlin auf sich nahmen, worüber ich hier vor sieben Jahren schon mal konkreter schrieb.

Potsdam war damals gut, um hin und wieder im „Russenmagazin“ einzukaufen, oder auf der Brandenburger, die Potsdamer liebevoll „Broadway“ nannten, im „Delikat“ nach Neuem zu stöbern. Meistens machten wir Familienausflüge nach Sanssouci, wenn mal Geschwister von meinem Vater aus dem Norden in die Mitte der DDR kamen, um uns dort zu besuchen.

Vielmehr verband mich und Potsdam damals eigentlich nicht. Vielleicht noch der Schwimmunterricht, den die Schule am Brauhausberg durchführte und gelegentliche Punktspiele, die das beste Handball-Team Brandenburgs auswärts zu bestreiten hatte. Die BSG Teltow. Mit mir im Tor.

Wichtig wurde Potsdam erst, als die Mauer dann weg war. Die S-Bahn fuhr über Nikolassee und Grunewald, wo es die besten Strecken zum S-Bahn Surfen gab, weil die Bahnhöfe ewig weit auseinanderliegen. So starteten wir manche Wochendabende bei Burger King auf dem Ku’damm, surften fuhren dann von Zoo aus mit der heutigen S7 nach Potsdam und ließen uns im frisch besetzten Waschhaus den Arsch mit Techno versohlen. 1993 muss das gewesen sein.

Drei Jahre vorher ist dieses Tram-Video hier gemacht worden. Es zeigt den Weg der heutigen Linie 94 vom Platz der Einheit zur Kastanienallee und es ist echt krass, wie sehr sich diese Stadt in den letzten 25 Jahren verändert hat. Klar, sind 25 Jahre auch eine lange Zeit, die viel Raum für Veränderungen zulässt, das so zu sehen allerdings ist dennoch irgendwie beeindruckend.

Start: Platz der Einheit, den hier alle PdE nennen. Die Wilhelm-Galerie gab es damals noch nicht, stattdessen stand dort ein kleines Kaufhaus. Einfahrt Charlottenstraße, wo auf der Ecke heute ein Designer-Laden ist, vorbei am Scharwarma, wo nun die besten Falafel der Stadt gemacht werden. Café Olga, der Buchladen Sputnik, das recht neue Hipster-Café Höhe Dortustraße, damals alles noch Ideen der kommenden Jahre, alles noch nicht da. Der Stadtwächter, dann fährt die Bahn über den Luisenplatz, der bis 1993 Platz der Nationen hieß. Was sie heute nicht mehr tut. Heute nimmt sie den Weg hinter der Sparkasse und dem ehemaligen autonomen Frauenzentrum entlang.

Zeppelin-, Ecke Feuerbachstraße, entlang an den ewig langen Platten, die heute schön bunt sind. Zeppelin 25/26, die damals, so glaube ich, noch nicht besetzt waren. Gerade zu auf den heutigen Späti und vorbei an dem Haus, auf dessen Fassade bis vor kurzem noch „Schallplatten“ in großen Lettern prangte. Geschwister-Scholl-Straße, vorbei an der heutigen Avanti-Pizzeria und der Waschbar…

Ein wundervolles Zeitdokument, aufgenommen im Juli 1990. 8 Monate nach dem Mauerfall. In einer Stadt, die heute mehr und mehr zu einem begehbaren Museum mutiert.


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Den Ton könnt ihr ruhig runterdrehen und stattdessen Michael Harris‘ wunderschöne „Reflection EP“ laufen lassen, die es hier zum Download gibt. Das passt ganz perfekt.


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Heute vor 25 Jahren – Erinnerungen an eine Flucht

Heute vor 25 Jahren ist Jens aus dem Osten in die BRD geflüchtet. Zwei Tage später fiel die Mauer.

Jens dürfte einer derer sein, die hier zu den längsten Lesern gehören. Im Netz kennen wir uns schon eine halbe Ewigkeit, tatsächlich getroffen haben wir uns nie. Ich weiß schon länger, dass Jens im Herbst 89 „rüber gemacht“ ist. Ich fragte ihn letztens, ob er dazu nicht mal etwas aufschreiben mag. Das tat er. Hier seine ganz persönlichen Erinnerung an das Jahr 1989.

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(Symbolfoto unter CC BY-SA 2.0 von Sludge G)

Der Huddel begann so Mitte der 80er. Da wurde mir immer klarer, dass das so nicht weiter gehen kann. Zumindest nicht mehr all zu lange.

Dann nahm mich mein Kumpel mit nach Halle – in die dortige Punkszene. Das war für mich der Wendepunkt. Ab wollte ich revoluzzen. Ich hatte keinen Bock mehr auf das System und klinkte mich zusehends aus. Die damalige Szene in der DDR war sehr agil und aktiv, sodass wir echt viel Spaß hatten. Das meiste fand illegal in Kirchen statt, aber das wissen die meisten von euch ja eh…

Dann kam 89… das alles verändernde Jahr. So im April rum bekam mein damals bester Kumpel sein „Go“ für seinen Ausreiseantrag und war ziemlich schnell weg. War nicht so einfach für mich. Aber es war eh eine sehr veränderliche Zeit. Ein heißer Sommer. Meine Schwester…zack über Ungarn weg. Das war im August. Ohne mir Bescheid zu sagen. Ich bekam einfach irgendwann einen Anruf von ihr ausm Westen. Das war krass.

Zu der Zeit hatte ich den Gedanken, einen Ausreiseantrag zu stellen, schon verworfen, da es bereits zu spät war. Hier musste gehandelt werden. Dann die Sache mit der Prager Botschaft. Das gab uns den Rest. So kam es, dass wir uns auf einer Party bei mir dazu entschlossen, auch „rüber zu machen“.

Gesagt, getan. An einem trüben Montagmorgen im November hob ich alles Geld vom Konto ab und legte es meiner Mutter, die zu der Zeit in Kur war, samt eines Abschiedsbriefes auf den Küchentisch. Packte ein paar Sachen, brachte Ratte Wilma zu einer Bekannten, damit sie versorgt ist, und dann ging es auch schon ab zum Bahnhof. Unterwegs trafen wir noch den Vater eines meiner Freunde. Tränenreicher Abschied. Vergess ich nie! Dann Tickets nach Prag gekauft und ab in den Zug. Wir waren zu siebt. Meine Freundin, fünf Kumpels und ich. Wir vereinbarten, getrennt zu fahren, damit wir an der Grenze nicht auffallen. Bei Fragen wollten wir sagen, wir fahren in die Hohe Tatra, Skiurlaub machen. Über die tschechische Grenze war dann allerdings kein Problem und so kamen wir alsbald in Prag an. Hier hatten wir dann auch direkt den ersten Kontakt mit „dem Westen“. Auf dem Bahnsteig liefen Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes herum und sprachen uns an, ob wir flüchten wollten. (Man hat es uns dann wohl doch angesehen.) Man erklärte uns, dass es einen Sammeltransport in die BRD geben würde, welcher in ein paar Stunden abfahren sollte. Prima, das ging ja mal unproblematisch.

Wir also noch ne Runde in die Stadt, die letzte Ostmark in Kippen und Bier investieren.

Dann die Fahrt Richtung Biberach. Was war das für ein Fest, als der Zug die Grenze überquerte. Unglaublich. Werde ich auch nie vergessen.

Der Empfang in Biberach war echt erstaunlich. Sehr herzlich hat man sich um uns gekümmert. Zum einen von staatlicher Seite und zum Anderen auch durch die Bevölkerung. Untergebracht wurden wir erstmal für 3 Tage in einer Turnhalle. Zu Hunderten. Aber man hat uns sogar einen TV hingestellt, sodass wir das Geschehen in der Noch-DDR verfolgen konnten. Nach diesen 3 Tagen ging’s dann ins nächste Auffanglager. Ich sag euch, das war ein Traum! Und das meine ich so. Denn wir wurden in einem verschneiten Feriendorf im hessischen Wald untergebracht. Finnhütten mit Kamin und allem pi pa po… Jeweils für 6 Personen… da wir aber zu siebt waren, hatten wir ein Problem. Dachten wir zumindest kurz. Denn auch hier hatten die Verantwortlichen kein Problem gesehen und uns flux ein siebtes Bett in unsere Hütte gestellt, sodass wir zusammen bleiben konnten. HAMMER!

Es dauerte auch nicht lang, da hatten wir den ersten Kontakt mit den Anwohnern des angrenzenden Dorfes. Die dort lebende Jugend war schnell unser Freund. Und schon nach 2 Tagen saßen wir mit ner Kiste Bier in deren Häusern und haben Videos geschaut. So ging das dann gediegen 6 Wochen lang weiter. In der Zwischenzeit, und auch hier muss ich ein Lob der deutschen Bürokratie aussprechen (was mir heute eher schwer fällt!), hatten wir unsere neuen deutschen Ausweise und auch das Arbeitslosengeld war genehmigt. Mir wurden meine Arbeitsjahre in der DDR voll anerkannt und ich bekam ne stattliche Summe ALG. Soviel, dass ich mir direkt ein Auto kaufen konnte. Ein altes, gebrauchtes natürlich. Es war, (lacht nicht!), ein Opel Manta. Baujahr 76 mit schwarzem Velourdach, original Lackierung, ungetuned. Herrlich!

Natürlich ist uns nicht entgangen, dass inzwischen die Mauer gefallen war. Das machte uns allerdings nicht nur gute Gefühle. Zum Einen, weil uns klar wurde, dass wir das alles viel bequemer hätten haben können, ohne Flucht und so. Zum Anderen, weil jetzt auch jeder Volldepp rüber machen konnte. Und ja, auch davon hatten wir in der DDR genug. Was wir noch zu spüren bekommen sollten…

Irgendwann waren die 6 Wochen „Urlaub“ dann vorbei. Es ging für gottseidank nur eine Nacht ins Hauptauffanglager nach Gießen. Amok! Das war eine eher verstörende Erfahrung. Zu viele Leute, aller Couleur, auf zu engem Raum. Naja, es war nur eine Nacht. Für uns ging es weiter – in ein leeres Hotel. Ebenfalls in Hessen. (Korbach) Ich bezog ein Zweibettzimmer mit meiner Freundin. Hier sollten wir dann weitere 6 Wochen wohnen und es sollte auch unsere Endstation in Sachen Auffanglager werden.

Weihnachten kam und wir wollten alle zu unseren Familien in den Osten. Klar, die Grenze war ja offen. Allerdings gab es zu der Zeit immer noch den Zwangsumtausch von 25 DM pro eingereisten Tag. Die Aufhebung dessen sollte am 23.12.89 stattfinden. Da wir diesen Umtausch natürlich nicht mehr wollten, (klar, wer braucht schon Ostmark?), standen wir dann zu Hunderten an der „offenen“ Grenze und warteten, bis um 0:00 Uhr diese Regelung weg fiel. Dann fuhr ein riesen Konvoi an Autos ab in die Ex-DDR. In den anliegenden Grenzdörfern standen die Leute zu Hauf an den Straßen, wir konnten teilweise nur Schrittgeschwindigkeit fahren. Dabei trommelte man uns auf die Autodächer zur Begrüßung. Menschen standen mit allerlei Getränken am Straßenrand. Das war alles einfach fast surreal. Eine einzige Party.

Die Ankunft und der Empfang durch meine Mutter war damals erstmal etwas unterkühlt. Sie war wohl nicht so begeistert, dass ich weg bin. Sie brauchte, um sich damit abzufinden, einige Zeit.
Wir hatten den Kofferraum voller Lebensmittel. Quasi ein rollendes Westpaket. Das beschwichtigte ein wenig.

Wir verbrachten den Jahreswechsel dann in der Heimat und fuhren im neuen Jahr wieder zurück in unser Hotel. Dort lebten inzwischen auch sehr komische, fast kriminelle Leute. Es wurde zB. die Kasse, des im Hotel befindlichen Restaurants, geknackt. Ausgerechnet in der Nacht, in der wir wieder dort ankamen. Da ich kein echtes Alibi hatte, wurde ich von den Ermittlern erstmal verdächtigt und musste Fingerabdrücke und Co. abgeben. Kam dann aber irgendwie nix bei raus und ich glaube, das verlief sich im Sande.

Eines Morgens lag dann doch sogar ein Toter bei mir vor der Zimmertür. Die besoffenen Knaller hatten sich anscheinend geprügelt und einen hats erwischt. Da wurde es uns doch alles zu viel und wir nutzten das Angebot, welches sich just offenbarte. Denn ein Cousin eines Freundes lebte in Saarbrücken und in dem Haus, in dem er wohnte, war gerade ne Bude frei. Mein Freund fragte mich und meine Freundin, ob wir nicht mit wollten. WG und so. Erstmal musste ich auf der Karte schauen, wo Saarbrücken eigentlich liegt. Ich wäre gern in Hessen geblieben, aber raus aus dem Hotel war dringender. Also, dachten wir, erstmal nach Saarbrücken, dann schauen wir weiter. So trennten sich dann die Wege der glorreichen Sieben. Der Rest blieb in Hessen und wir verloren uns schnell aus den Augen.
(Übrigens sind, bis auf meine Ex und mich, alle früher oder später wieder zurück in die Heimat. Heute habe ich zu keinem mehr Kontakt.)

Angekommen in SB lebten wir die ersten Wochen mit Schlafsack aufm PVC Boden in leeren Räumen. Alles sehr abenteuerlich, aber, ich möchte diese Zeit nicht missen.

Dass Saarbrücken mal zu meiner neuen Heimat werden würde, hatte ich damals nicht aufm Schirm. Ich ging von einer Episode aus. Nun lebe ich bereits länger hier in Saarbrücken, als ich in der DDR lebte. Saarbrücken ist mein Zuhause.

Alles andere ist Geschichte…

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DDR-Alltag in einem Fotoband: Thomas Hoepker – DDR Ansichten

Ein offenbar nicht ganz frischer aber ganz toller Fotoband des in München geborenen Fotografen Thomas Hoepker, der mit seiner Frau, der Journalistin Eva Windmöller, seit Beginn der 70er Jahre für mehrere Jahre in der DDR akkreditiert war und über die Politik und den Alltag in Ostberlin berichtete. Gemeinsam arbeiteten sie dort drei Jahre und vermittelten dem Westen ein Bild des Lebens im anderen Teil Deutschlands. In diesem Bildband dokumentiert Hoepker den Alltag in DDR von 1959 bis zur Wende: Aufnahmen von spielenden Kindern an der Mauer, Parteikundgebungen, Propagandaplakaten, alten maroden Fassaden und leeren Vitrinen im Supermarkt. Bei Magnum Photos kann man sich viele der im Buch enthaltenen Fotografien ansehen und die sind durchweg großartig.


(via Ostprodukt)

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Über 100 Interviews: Radio Corax‘ Wendefokus – Persönliche Blicke auf den Herbst ’89

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Das freie Radio Corax in Halle hat in den letzten Monaten mit über 100 Menschen über ihre persönlichen Erinnerungen an den Herbst 1989 gesprochen und die vielen mitunter langen Gespräche auf Wendefokus online gestellt. Die Idee dahinter ist großartig, weil sie persönliche Erfahrungen in den Fokus legt und nicht das, was am Ende in den Geschichtsbüchern stehen wird. Denn letztendlich hat jeder seine eigene Geschichte, für die in der Summe aller aber nur selten Platz bleibt. Wenn ich podcasten würde, würde das wohl in diese Richtung gehen. Wahnsinnig gut!

Wir schreiben das Jahr, in dem DDR in Rente geht – gehen würde, wenn wir in diesen Tagen nicht mit dem 25. Jahrestag der sogenannten Wende konfrontiert werden würden. Einmal mehr haben wir uns schwer getan mit der Idee, das Jubiläum bei uns im Programm stattfinden zu lassen.

Nicht, weil wir das Geschichtsrad zurückdrehen wollen würden und irgendeiner Zonenverklärung nachhängen. Vielmehr war es die Schwebe, in der sich die Reflexion der Wendezeit tatsächlich befindet. Offiziell diente der Herbst 1989 der Vorbereitung der sogenannten Wiedervereinigung, so, als sei diese das unumstrittene Ziel derjenigen gewesen, die sich bei den frühen Montagsdemos in Leipzig auf die Straße trauten. Wir stellen uns aber heute noch ganz andere Fragen: Was ist in der Zeit zwischen 1989 und dem Oktober 1990 für Einzelpersonen passiert? Welche Hoffnungen und Chancen haben sie gesehen und ergriffen? Welche Sicht hatten sie auf den Ereignisstrudel?

Ich packe hier mal zwei-drei interessante Interviews rein, alle anderen finden sich auf der Seite selbst.

Björn Hopfgarten wuchs in behüteten Familienverhältnissen, in einem “goldenen Käfig” auf, der durch die Ausreise des Bruders erschüttert wurde. Spätestens zu diesem Zeitpunkt verstand sich Hopfgarten – auch äußerlich erkennbar – als Punk. Hopfgarten gehört zu denen, die am 7.Oktober 1989 in Halle nach Auseinandersetzungen mit der Polizei auf Lastwagen abtransportiert wurden. Es erging gegen den 17-Jährigen wegen “Rowdytums” und Verstoßens gegen die staatliche Ordnung ein Haftbefehl. Hopfgarten spricht über Verhöre, Einzelhaft, Verurteilung, die Bildung eines “anarchistischen Blocks” auf anschließenden Montagsdemos in Halle und Leipzig, wo die ersten Straßenschlachten mit “den Faschos und dem Mob” stattfanden, die “wunderbare Zeit“, in der “jeden Tag eine neue Kneipe entstand” und Häuser besetzt wurden.

[audio:http://audioarchiv.k23.in/Radio/Radio_Corax/Wendefokus/2014/mp3/wendefokus_2014-bjoern-hopfgarten.MP3]
(Direkt-MP3)

Stefan Schleicher absolvierte seine Ausbildung und Arbeit bei der Verkehrspolizei, um ab 1985 bei der Kriminalpolizei in Halle tätig zu sein. Er habe jede Montagsdemo mitgemacht – “natürlich auf der anderen Seite“. Einen Willen zu Veränderung der Verhältnisse hat Schleicher nicht verspürt, eine Demokratisierung der Polizei habe nach 1989 kaum stattgefunden. “Nicht einfach” sei es für die Polizei, um die Zeit der sogenannten Wende gewesen: es herrschte ein “teilweise rechtsfreier Raum”, viele “Leute gingen [gegen die Polizei] schnell auf Kontra“.

[audio:http://audioarchiv.k23.in/Radio/Radio_Corax/Wendefokus/2014/mp3/wendefokus_2014-roman-ronneberg.MP3]
(Direkt-MP3)

Dore Richter durfte – nach mehreren Verhören der Stasi – seit 1983 keiner Arbeit nachgehen, weil ihr antistaatliche politische Aktivitäten unterstellt wurden. Richter wurde “unauffällig großgezogen“, später politisiert durch ihre Schwester und deren Freunde, die bei ihr die “Sehnsucht” nach “guten Büchern” und Musik weckte, während sie sich eher zurück hielt; aus “Angst um meine Tochter“. Mit den Einschüchterungen der Stasi, dem Misstrauen und Druck, versuchte Richter offensiv umzugehen. Nachdem die besten Freundinnen 1983 ausgereist sind, zog Richter ihren eigenen Ausreiseantrag 1985 zurück. Dennoch: “Ich hatte nie gedacht, dass sich was ändert“, was der frühen Beteiligung an den Montagsdemonstrationen – mit dem Ziel einer “Wiedervereinigung” keinen Abbruch tat.

[audio:http://audioarchiv.k23.in/Radio/Radio_Corax/Wendefokus/Geschnitten_2009/mp3/Wendefokus_2009-Doris_Richter.mp3]
(Direkt-MP3)

(Danke, Tim!)

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Doku: Zonenmädchen

Die Dokumentarfilmerin Sabine Michel hat sich und vier Freundinnen ab dem Fall der Mauer selber dabei beobachtet, was aus ihnen als Kinder der DDR wohl werden würde. Lief letztes Jahr im Kino, letzte Nacht auf arte und jetzt für sieben Tage auf arte+7.

Man kann sicher Kritik an dem Film üben, die schon damit los gehen würde, dass die Portraitierten hier alle durchweg ihr Abitur haben machen können, was nicht jedem als Möglichkeit gegeben war. Es gäbe auch weitere Kritikpunkte, aber sehen kann man den trotzdem, zumal die Idee zum Film alles andere als eine schlechte ist.

Sabine, Claudi, Vera, Claudia und Veruscha gehören zum letzten Jahrgang, der in der DDR sein Abitur macht. Gemeinsam erleben sie die neue Freiheit nach dem Mauerfall. Nach und nach verlassen sie ihre Heimatstadt Dresden und gehen nach Paris. Die Stadt ihrer Träume wird zum Ausgangspunkt für ihr neues Leben. Heute sind die Frauen in Berlin, Dresden und Paris zu Hause. Sie sind Karrierefrau, Studienabbrecherin, Mutter, Ehefrau, Alleinerziehende, Kinderlose, Frauen- und Männerliebende.

Mehr als zwei Jahrzehnte später geht die Dokumentarfilmerin Sabine Michel mit ihren Freundinnen noch einmal auf die Reise. Gemeinsam ziehen die fünf Frauen eine Bilanz des eigenen Lebens und fragen sich, wie stark die Erfahrungen der Kindheit ihre Lebenshaltung und ihre Sicht auf die Gesellschaft prägten. Wie viel Zone steckt noch in den einstigen „Zonenmädchen“? Spielt es noch eine Rolle, wo die fünf aufgewachsen sind? Wer sind sie heute? Und wohin könnte es noch gehen mit ihnen?

Es sind fünf völlig verschiedene Leben geworden, die sich in Weltsicht und Anspruch auseinander bewegt haben. Und so entladen sich im ungewohnten Zusammensein der Frauen auch Spannungen und Konflikte.

„Zonenmädchen“ – ein Film über Lebensträume und das Vermögen, sie umzusetzen, ein Film über Gewinn und Verlust in lang währenden Freundschaften und über das beherzte Älterwerden von Frauen.


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Doku über die Fotoagentur Ostkreuz

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Ich verstehe nicht viel von der Fotografie als Kunstform. Ich habe visuelle und thematische Vorlieben und Favoriten, das war es schon. Und ich weiß auch gar nicht, ob es viel mehr sein müsste. Wenn mich allerdings jemand fragt, welche deutschen Fotografen mir im Kontext zur Kunst einfallen würden, würde ich immer auf die Agentur Ostkreuz verweisen.

Keine andere Agentur hat das Ende der DDR und in der Summe die Wende 89-90 zu famos portraitiert wie eben die Fotografen von Ostkreuz, die ich hier alle fast schon mal drin hatte. Gerade mit den Fotos der Wendezeit haben sie einen wohl unvergleichlichen Schatz geschaffen, der durch die Reihe weg sehenswert ist.

Maik Reichert hat die Agentur und ihre Fotografen über Jahre hinweg begleitet und arte hat vorhin seine Aufzeichnungen gezeigt, was ich mir neben dem Kochen interessiert ansah. Schöne Philosophie hinter der Idee und die jungen Köpfe nicht weniger querdenkend als die schon grauen. Toll.

Mit dem Zerfall des Ostblocks gründet sich in Berlin die Fotoagentur Ostkreuz, und mit ihrer Gründung durch sieben ostdeutsche Fotografen beginnt ebenfalls eine erstaunliche Erfolgsgeschichte. Als festes Kollektiv und der Pariser Agentur Magnum als Vorbild schaffen sie es, die Agentur zur wichtigsten und bekanntesten Fotoagentur Deutschlands zu machen. Zu den Kunden zählen Magazine wie „Newsweek“, „Stern“, „GEO“ oder die „New York Times“. Längst ist Ostkreuz keine Ostberliner Fotoagentur mehr. Mittlerweile zählt sie 18 Mitglieder, die künstlerisch, persönlich und biografisch eine bunt gemischte Gruppe europäischer Erkunder bilden. Alle haben unterschiedliche Arbeitsweisen, aber eines vereint sie: Ihr humanistischer Blick auf die Welt. Ostkreuz steht für gesellschaftlich engagierte Dokumentarfotografie.


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Statistisches in schön zu 25 Jahren Mauerfall

Die Zeit hat gerade jede Menge Infografiken und Datenvisualisierungen zum Thema Ost und West heute. Macht Spaß und ist sehenswert weil interessant: Mauerfall – das geteilte Land.

Die Deutschen haben sich nach 1990 bemüht, alle Spuren, die die deutsche Teilung hinterlassen hat, so schnell wie möglich verschwinden zu lassen. Von der Berliner Mauer stehen nur noch wenige Meter. Der Palast der Republik ist weg, vieles andere auch. Es ist, als sei die Teilung verschwunden. Uns bleiben nur die verschwimmenden Erinnerungen von 1989. Oder ist da mehr?

Wir haben Bilder gesucht, Grafiken und Statistiken, die von der Einheit erzählen – oder der fortbestehenden Trennung. Wir fanden Daten, die präziser berichten als mancher Zeitzeuge. Zum Beispiel statistische Landkarten. Manche werfen die Frage auf, ob sie vor 1989 oder danach entstanden – so deutlich sind die Umrisse der DDR zu erkennen.

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30.09.1989, Deutsche Botschaft Prag


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Es gibt viele Momente aus dem Sommer/Herbst 1989 die mir bis heute in Erinnerung geblieben sind. Der Abend des 30.09.1989 hat sich besonders tief festgesetzt. Ich weiß noch heute, wie ich den Auftritt von Genscher im Fernsehen sah. Er haute mich schlicht um, auch wenn ich damals nicht beschreiben hätte können, was genau da in mir vorging. Das kann ich, glaube ich, bis heute nicht so ganz.

Wir sahen zu Hause seit Wochen nur noch Westnachrichten. Nach den Ereignissen in Ungarn hatten alle Angst, dass die Sache in Prag eskalieren könnte, aber es kam anders und alle wussten, dass ab da nichts mehr so sein würde wie bisher. Die Mauer sollte in ihrer Funktion keine zwei Monate mehr durchhalten.

Im Vorfeld der Revolutionen von 1989 wurde das Gelände der Botschaft als Zufluchtsort von Flüchtlingen aus der DDR bekannt. Im Sommer jenes Jahres wagten es weitere DDR-Bürger, vom Prager Hauptbahnhof den Weg über die Moldau hinweg in die bundesdeutsche Botschaft zu gehen. Am 19. August 1989 lebten rund 120 Flüchtlinge dort, täglich kamen 20 bis 50 weitere hinzu. Am 23. August schloss Botschafter Hermann Huber auf Weisung des Außenamtes das Barockpalais für den Publikumsverkehr. Die Konsularabteilung wurde vorübergehend in ein Prager Hotel verlegt, um den Botschaftsstatus aufrechterhalten zu können.

Der Ansturm auf das Botschaftsgelände ging jedoch weiter, weitere Flüchtlinge erzwangen sich Zutritt, teils an den nachlässiger werdenden tschechoslowakischen Polizisten vorbei durch das Tor, oder durch Klettern über den Zaun, was teilweise zu Verletzungen führte. Im Park der Botschaft wurden Zelte und sanitäre Anlagen aufgestellt und sogar ein Schulbetrieb für die Kinder eingerichtet. Verlassene Fahrzeuge der Marken Trabant und Wartburg prägten das Bild der Umgebung; die DDR bemühte sich alsbald um einen Abtransport der stummen Zeugnisse. Die sanitären Bedingungen in der Botschaft spitzten sich im Laufe des Septembers zu, zeitweise hielten sich 4000 Flüchtlinge gleichzeitig auf dem von Regenfällen durchnässten Gelände auf. Hauptbeschäftigung war das stundenlange Schlange stehen vor den WCs, in knöcheltiefem Schlamm. Teils heftige Auseinandersetzungen fanden mit Personen statt, die man der Stasi-Tätigkeit verdächtigte.

Der damalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher traf am Abend des 30. September 1989 ein. Er kam von Verhandlungen mit dem damaligen Außenminister der Sowjetunion Eduard Schewardnadse und anderen am Rande der UN-Vollversammlung in New York. Versammelten Journalisten sagte er, er möchte ihnen keine Mitteilung machen, da er zunächst mit den Deutschen aus der DDR sprechen wolle. Um 18:58 Uhr gab er vom Balkon des Palais aus bekannt:

„Liebe Landsleute,
wir sind zu Ihnen gekommen,
um Ihnen mitzuteilen,
dass heute Ihre Ausreise
(Tausendfacher Aufschrei und Jubel)
… in die Bundesrepublik Deutschland möglich geworden ist.“

Das Satzende ging unter mit dem auf das Stichwort „Ausreise“ hin aufbrausenden Jubel der im Hof kampierenden, ausreisewilligen DDR-Flüchtlinge.
(Wikipedia)

Hier die Tagesschau vom 30.09.1989.


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Preis- und Sortimentsliste des Konsum Fleischverarbeitungskombinats Bautzen

Als ich damals in gerade-nicht-mehr-Westberlin meine erste Ausbildung begann, musste ich mir von den dortigen Altgesellen immer wieder sagen lassen, dass sie, wenn sie denn überhaupt mal den Osten bereisten, in den Fleischereien immer dachten, dass sie eigentlich in einem Fliesenladen wären. Ich verstand das erst gar nicht, später wurde mir dann erklärt, dass man in diesen Läden der DDR immer mehr Fliesen als eben Fleisch sehen konnte und folglich dachte, es gäbe da halt Fliesen. Ich lachte nicht wirklich drüber.

Wir als Familie hatten, wenn ich mich recht erinnere, nie wirklich Versorgungsengpass. Mein Vater kannte zwei Fleischermeister und immer wenn er mal „was Besonderes“ wollte, ging er zu denen und brachte als Argumentations-Verstärker einen geräucherten Aal mit, den es so auch nicht immer gab. Diesen holte er sich vorher bei dem ihn bekannten Fischer ab, um ihn dann zu räuchern. Um an den Aal oder wahlweise frischen Karpfen zu kommen, nahm er zum Fischer als Argumentations-Verstärker immer ein Kilo Spargel mit, den er aus seinem Garten stach. Das war alles nicht einfach, aber irgendwie funktionierte es dann doch, aber darum soll es gar nicht gehen. Viel mehr um diese Preisliste vom Fleischverarbeitungskombinat Bautzen, von der ich nicht weiß, aus welchem Jahre sie ist. Angebot war laut dieser Liste reichlich, ob das allerdings alles so in die Läden kam, halte ich für zweifelhaft, wenn nicht gar für ausgeschlossen. Gemessen an dem damaligen Lohngefälle waren derartige Produkte jedenfalls keine Schnäppchen.


(via Paula Kirby)

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