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Schlagwort: History

Ein Hörspiel über Rostock-Lichtenhagen: Sonnenblumenhaus

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(Foto: mc005, CC BY-SA 3.0, via Daniel)

Interessanter Ansatz, sich mit einem eigens dafür produzierten Hörspiel noch mal mit dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen im Sommer 1992 auseinanderzusetzen. Dan Thy Nguyen und Iraklis Panagiotopoulos haben sich dieser Aufgabe angenommen und dieses zweiteilige Hörspiel aufgenommen. Und das ist sehr gelungen. „Bemerkenswert ist vor allem, dass hier die Betroffenen selbst zu Wort kommen und damit ein biografischer Zugang zu den Ereignissen geteilt wird.“

Hunderte Nazis und tausende applaudierende Zuschauer belagern die Aufnahmestelle für Asylbewerber und ein Wohnheim für vietnamesische Gastarbeiter. Auf dem Höhepunkt der Ausschreitungen zieht sich die Polizei zurück. Das Theaterstück – hier für das FSK zu einem Hörspiel entwickelt – dokumentiert die Ausschreitungen und verarbeitet die Sicht der belagerten Menschen. Ein transnationales Team geht auf die Suche nach Zeitzeugen und befragt sie nach ihrer Version der Geschichte.

Das Hörspiel wurde von den Autoren aus dem Theaterstück entwickelt und am 31. Januar im FSK (ur-) gesendet.

Teil 1 (Haupteil):

[audio:http://www.freie-radios.net/mp3/20150202-sonnenblume-68626.mp3]
(Direktlink)

Teil 2:

[audio:http://www.freie-radios.net/mp3/20150202-sonnenblume-68627.mp3]
(Direktlink)

Zum Download bei Freie Radios.net.

Zum Download ist zu beachten, daß beide Teile downloadbar sind und dann zusammengefügt gehört werden können.

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Podcast: Lange Nacht über Hunter S. Thompson

Könnte sein, dass das der ein oder die andere schon kennt. Diese fast dreistündige Sendung von Deutschlandradio Kultur ist schon aus dem Jahr 2011 und wurde 2012 mit dem Deutschen Radiopreis ausgezeichnet: Lange Nacht über Hunter S. Thompson.

hunter s thompson


[audio:http://media.ndr.de/progressive/2012/0923/AU-20120923-0249-1201.mp3]
(Direktlink, via Swen)

Aus der Begründung der Grimme-Jury:

„2005 erschießt sich Hunter Stockton Thompson, eine amerikanische Legende des neuen Journalismus. Aus seinem Leben, seiner Zeit und ihrem Zeit-Geist wird hier Radio-Magie pur, mit allen Klangmitteln dieser Welt. Fast drei Stunden spannender Entschleunigung und kreativer Transfusionen – in einem Schnitt quer durch die Schichten der Popkultur von zwei Jahrzehnten, die bis heute im Hören, Sehen, Fühlen und Empfinden maßgeblich sind. Ein bester Beweis dafür, was und wie Radio auch sein kann: eine ganz eigene Kultur.“

Ich habe von der Sendung bis heute nichts gewusst und höre das gerade sehr interessiert.

Seinen Stil bezeichnete Hunter als Gonzo, nach einem amerikanisch-irischen Slangausdruck für den letzten Mann, der nach einem Saufgelage noch stehen kann. Gonzo ist streng subjektiv, Realität und Fiktion vermischen sich, der Autor wird Teil der Handlung, treibt sie sogar voran.

Hintergrund war der Gedanke, dass sich mit dem Aufkommen der Jugendkultur in den 60er-Jahren zahlreiche Phänomene nur von innen beschreiben ließen. So schrieb Hunter ein Buch über die Hells Angels, nachdem er ein Jahr lang mit ihnen herumgereist war.

Sein Hauptwerk war „Angst und Schrecken in Las Vegas“, erschienen 1971. Darin ist die Wirklichkeit nur noch eine Folie, auf der sich eine abstruse, weitgehend fiktive Drogenstory abspielt – ein wirrer und irrer Abgesang auf die 60er-Jahre und die Idee eines offenen, jungen und gestaltbaren Landes.

Mit „Angst und Schrecken in Las Vegas“ avancierte Hunter S. Thompson zur Ikone der Gegenkultur. Er schrieb, streng subjektiv versteht sich, über amerikanische Wahlkämpfe, goss Hohn und Spott über Fitness-Fanatiker und ließ sich in Kolumnen zu allem aus, was ihm gerade so in den Sinn kam – bis zum letzten Atemzug ein unbequemer Geist, exzentrisch, rebellisch, widersprüchlich.
(Wikipedia)

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Der Berliner Schlüssel

Als ich damals im Altbau in der Bundesallee in Schöneberg wohnte, gab es dort so ein Schloss in der Tür. Ich habe mich nie gefragt, warum das so komisch aussah, habe es aber trotzdem in Erinnerung. Das Schloss war nicht mehr in Betrieb, es gab dort mittlerweile ein neueres.

Was ich nicht wusste, dass diese Art von Schloss wohl primär in Berlin verbreitet war und es für dieses ein ganz besonderen Schlüssel bedurfte. Den Berliner Schlüssel nämlich. Und Sonntags kann man auch mal seinem Bildungsauftrag nachkommen.

(Direktlink, via Gilly)

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Wie vor 100 Jahren: Ein Haus in der Antarktis

Die Antarctic Heritage Trust hat auf der antarktischen Ross-Insel das Haus rekonstruieren lassen, in dem 1907 die Antarktisforscher Ernest Shackleton und Robert Falcon Scott hausten. Tolle Sache, würde ich mir ja zu gerne mal ansehen.

Hier Photos dazu.

The portable wooden huts, located on Antarctica’s Ross Island, gave shelter to well-known British adventurers Ernest Shackleton and Robert Falcon Scott and their crews. The 20th-century expeditions were the first to explore and study the southernmost continent. (See „Electrifying Photos of the Early Age of Antarctic Exploration Found [2013].“)

The buildings include Shackleton’s 33-foot-long (10-meter-long) Nimrod hut on Cape Royds, where workers unearthed a stash of whiskey and brandy, libations that fortified the men during the 1907 Nimrod expedition. Another, the Terra Nova hut on Cape Evans, was the largest Antarctic building of its time at 50 feet (15 meters) long. It contained a never-before-seen handwritten notebook of George Murray Levick, a member of Scott’s 1910-13 Terra Nova expedition.

The New Zealand-based Antarctic Heritage Trust decided to honor the original explorers by taking the buildings, abandoned in the 1940s, „back in time to when the heroic era of exploration stopped—roughly in 1917, during World War I,“ said lead conservator Gordon Macdonald of Macdonald & Lawrence, a carpentry company located on Vancouver Island, British Columbia.

Working from historical photographs and documents, it took experts ten years to conserve the huts, which had suffered due to water seepage, age, and simply being left to the elements in one of the harshest environments on the planet.

„That they’ve survived for a century is really tremendous good luck—they weren’t made for that at all,“ Macdonald said.


(Direktlink, via BoingBoing)

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70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz


(Direktlink)

Heute vor 70 Jahren befreite die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Es war das größte deutsche Vernichtungslager während der Zeit des Nationalsozialismus. Wir alle haben viel davon in der Schule gehört – viele haben schon vergessen. Das aber darf nicht passieren. Wir dürfen nicht vergessen. Niemals. Wir tragen vielleicht nicht die Verantwortung für das, was im deutschen Namen vor 75 Jahren getan wurde, aber wir tragen die Verantwortung dafür, daran zu erinnern und eben nicht zu vergessen. Immer.

Auschwitz bezeichnet einen Lagerkomplex, der aus dem größten der NS-Vernichtungslager, dem KZ Auschwitz-Birkenau und dem Stammlager des KZ Auschwitz sowie dem KZ Auschwitz–Monowitz im damals deutsch-besetzten Polen bestand. Diese drei Konzentrationslager wurden von 1940 bis 1945 während der Zeit des Nationalsozialismus bei Kraków (deutsch: Krakau) am Westrand der polnischen Stadt Oświęcim (deutsch: Auschwitz) errichtet. Zu dem Lagerkomplex gehörte auch eine Vielzahl von Neben- oder Außenlagern in der Region.

Die europaweit gefangen genommenen Menschen wurden per Bahn in das KZ Auschwitz transportiert. Herkunftsländer der meisten dort Ermordeten waren Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Jugoslawien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Polen, Rumänien, Sowjetunion, Tschechoslowakei und Ungarn. Es handelte sich um die räumlich größte Ansammlung von Konzentrationslagern des Deutschen Reichs, in denen über 1,1 Millionen Menschen ermordet wurden (siehe Opferzahlen der Konzentrationslager Auschwitz). In der Nachkriegszeit ist deshalb der Name „Auschwitz“ zu einem Symbol für den Holocaust geworden.
Die Lager wurden am 27. Januar 1945 von der Roten Armee befreit.
(Wikipedia)

Letzte Nacht lief im Ersten eine Doku über „Night Will Fall“, einem Film-Projekt Alfred Hitchcocks, mit dem er versuchen wollte, die unbegreiflichen Grausamkeiten des Holocaust irgendwie darzustellen. Ich habe die gesehen und sowohl mein Magen als auch mein Herz wollten mich danach nur schwer schlafen lassen. Leider hat es jene Doku nicht in die Mediathek beim Ersten geschafft. Sie lief allerdings neulich schon auf arte und wird dort übermorgen, Donnerstag, 29. Januar um 01:25 Uhr, noch mal wiederholt. Hier ein Ausschnitt.

[Update]

Nun ist die Doku doch online und kann hier noch bis zum 03.02.2015 in der ARD Mediathek gesehen werden. [Triggerwarnung: Alles!]

Hitchcocks Lehrfilm für die Deutschen

Bei ihrem Vorstoß über Europa entdecken die Alliierten 1945 die ersten Konzentrationslager. Aus dem Entsetzen über das Bild der Grausamkeiten entsteht das Bedürfnis, alles zu dokumentieren. Britische, amerikanische und russische Kamerateams beginnen mit ihren Aufnahmen. Renommierte Regisseure wie Alfred Hitchcock und Billy Wilder werden beauftragt, aus dem Rohmaterial schonungslose Dokumente der Todeslager zu erschaffen. Als Teil der Psychologischen Kriegsführung sollen die Filme der deutschen Bevölkerung gezeigt werden.

Doch während die Amerikaner rasch mit einem kurzen Film an die Öffentlichkeit gehen, verzögert sich die Fertigstellung des britischen Films von Alfred Hitchcock. Und es ändern sich die politischen Vorzeichen. Unter dem Eindruck des beginnenden Kalten Krieges und der Wiederaufbaupläne für die westdeutschen Sektoren scheint es plötzlich nicht mehr opportun, die westdeutsche Bevölkerung nachhaltig mit ihren eigenen Verfehlungen zu konfrontieren. Der Film landet unvollständig in den Archiven, eine Filmrolle gilt bald als gänzlich verschollen.

Nach jahrelangen Recherchen und neu aufgetauchtem Material ist es dem Imperial War Museum nun gelungen, den Hitchcock-Film vollständig zu rekonstruieren. Er wurde im Rahmen der Berlinale 2014 erstmals öffentlich in Deutschland aufgeführt. Der Dokumentarfilm „Night Will Fall“ zeigt die Wiederherstellung des Hitchcock-Films mit den verantwortlichen Experten – und rekonstruiert zugleich mit Hilfe von Zeitzeugen – ehemaligen Lagerinsassen ebenso wie ehemaligen Soldaten und Kameraleuten – die Befreiung der Konzentrationslager 1944/45: Ungesehene Bilder und unerzählte Geschichten über eines der dunkelsten Kapitel des 20. Jahrhunderts.


(Direktlink)

In Auschwitz selber wird heute eine internationale Gedenkfeier für die Oper des NS-Terrors stattfinden, 70.auschwitz.org ist die offizielle Website mit allen dazu relevanten Informationen.

Das Deutschlandradio Kultur hat dazu die Audio-Doku-Reihe „Die Befreiung von Auschwitz vor 70 Jahren„, die über mehrere Tage hinweg daran mit 5-minütigen Beiträgen erinnert.

Eintages hat Erinnerungen der letzten Zeugen: Auschwitz – Erinnerungen an die Todesfabrik.

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Rasieren mit Stein

Ich habe nie darüber nachgedacht wie man sich wohl rasieren konnte, ohne eine Klinge auf einem Messer oder im Rasierer zu haben. Vielleicht dachte ich auch, dass die sich halt vor der Metalverarbeitung gar nicht rasiert haben. Obwohl: die Neandertaler-Modelle in den Museen hatten fast nie einen Bart. Also haben die wohl nicht nur mit Steinen gejagt und geschnitten, sondern sich auch mit diesen rasiert. Ist ja logisch. Dieser Naturbursche hier zeigt, wie das ausgesehen haben könnte.


(Direktlink)

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Pangaea mit den Grenzen von heute

Pangaea, andere Schreibweise Pangäa, selten auch Pangea (von altgriechisch πᾶν pān „ganz“ und γαῖα gaia „Erde“, „Land“, wörtlich also „Ganze Erde“),[1] war der letzte globale Superkontinent der Erdgeschichte.

Er existierte als zusammenhängende Landmasse vor etwa 300 bis 150 Millionen Jahren (Karbon bis Jura), also in dem Abschnitt der Erdgeschichte, in dem sich das große Massenaussterben am Ende des Perm abspielte und die Dinosaurier entwickelten.(Wikipedia)


(Karte: Massimo Pietrobon, Klick für in groß, via this isn’t happiness)

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25 Jahre Mauerfall: Mikis‘ Oktober 1989

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Ich hatte hier schon etwas länger über das großartige Tagebuch von Mikis geschrieben, welches er heute aus dem Jahre 1989 ins Netz überträgt. Das hier war sein Oktober und es war ganz sicher nicht der leichteste.

07.10.
Ich werd wach und bin nicht allein. Müller und Schulz sind da. Müller spielt mit seiner Pistole. „Na Wesensbitter, heute schon was vor?“ Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. „Ach, schon angezogen unter der Decke, das macht es ja einfacher. Aufstehen und Hände nach vorn!“ Und dann klicken die Handschellen und ich werd in den Stasi-Trabant verfrachtet. Davor darf ich noch pissen gehen.
Ich sitze auf der folienverkleideten Rückbank, einen Sack über dem Kopf und weiß nicht, wo sie mich hinbringen. Zur Stasizentrale kann es nicht sein, dafür fahren wir zu lange.
„Wesensbitter, sie sind echt ein totaler Vollidiot, aber jetzt werden sie mal was lernen. Das werden sie nie vergessen.“
Es knallt in meinem Gesicht und ich spüre wie Blut aus meiner Nase läuft. Das ist also die harte Tour jetzt. Danach ist wieder Ruhe, nur der Trabantmotor röhrt weiter und die Direktübertragung von der Jubel-Parade im Radio ist zu hören. Wir fahren bestimmt schon eine Stunde, mir ist schlecht und ich krieg kaum Luft, als wir anhalten. Ich werde aus dem Auto gezehrt und auf den Boden geworfen.
Ich höre es plätschern und dann wird es nass. Ich brauch nicht lange, um zu realisieren, dass ich gerade angepinkelt werde. „Happy Republikgeburtstag, du Punk-Votze!“ höre ich Müller sagen. „Erschießen wir ihn gleich hier, oder müssen wir ihn ordnungsgemäß entsorgen?“ fragt Schulz.
„Pack ein den Wichser. Wir liefern den ab.“
Hab ich Angst? Ich weiß es nicht. Ich hab mir geschworen, vor denen nicht zu kuschen und wenn das hier die Konsequenz ist, dann muss ich da durch.
Ca. 22.00 Uhr
Ich liege auf Betonboden, ich stinke, aber ich kann meine Hände wieder bewegen. Ich werde aus der Zelle abgeholt, bekomme einen schlabbrigen Dynamo-Trainingsanzug zum anziehen und werde ins Verhörzimmer gebracht. Mir gegenüber sitzt ein klassisches Schweinsgesicht.
„Name?“
„Alfons Zitterbacke.“
„Wolln wa witzich sein? Name!“
„Mikis Wesensbitter“
„Geboren am?
„12.12.1968“
„Geboren wo?“
„Berlin Lichtenberg.“
„Staatszugehörigkeit?
„DDR“
„Wohnhaft wo?“
„Dolziger Straße 45“
„Personenkennzahl?“
„Vergessen!“
„Wat?“
„Vagessen“
„Dit passt hier nich rin. Vagessen ist keene Zahl!“
„Ich kenn die doch nicht auswendig.“
„Jut, ick schreib jetzt 121268455555 rin.“
Ich zucke mit den Schultern. Mir ist egal, was er da reinschreibt.
„Häufig wechselnde Geschlechtsverkehrspartner?“
„Ja“
Er schaut mich an und leckt über seine Lippen.
„Echt?“
„Voll echt!“
„Muschis oder Pimmel?“
„Muschis!“
„Jott sei Dank! Mit die Schwulinskis hab ick Probleme. Durst?“
„Ja“
Er holt eine Flasche Fusel aus seinem Schreibtisch und gießt zwei Gläser voll.
Wir stoßen an.
Mit „Jut weiter!“ beendet er den inoffiziellen Moment.
„Union oder BFC?“
„Union!“
„Wußt ick! Ick och. Man, was haben die nachgelassen. Der Abstieg war doch echt die totale Scheiße. Mehr Durst?“
Ich nicke. Und er giesst den nächsten Schnaps ein.
„Fuss- oder Fingernägel?“
„Was?“
„Wat geeigneter ist, um deinen Willen zu brechen. Das Rausreißen deiner Fußnägel, oder deiner Fingernägel!“
„Pfff, beides Scheiße!“
„Geht so nich, ich muss mich für eins entscheiden.“
„Dann Fingernägel.“
„Würde ich auch sagen. Durst?“
„Sehr!“
Er gießt ein und wir trinken den nächsten Schnaps.
„Weißte, meine Alte betrügt mich, das macht mich total irre. Fickt mit dem Nachbarn Schulz, und das ist auch noch mein Kollege. Wie soll man denn dann bitte ein sozialistisches Kollektiv sein, wenn man so was weiß?“
Tja, was soll ich ihm denn da raten?
„Gieß mal den nächsten ein und dann lass mich raus. Sonst kommt meine Alte auch auf so komische Ideen!“ schlag ich vor.
„Echt? Nee das wünsch ich ja wirklich niemandem!“
Wir stoßen an.
Ich darf den abgetragenen Dynamo-Trainingsanzug behalten, meine eigenen Sachen sind in eine Tüte gestopft. Ich bekomme eine Behelfs-Fahrkarte und werde in einem Kübel-Trabant verfrachtet. Schweinsgesicht drückt mir die Hand und 20 Minuten später stehe ich in Oranienburg auf dem Bahnhof. Es stinkt nach ausgekochten Rinderhoden und laut Fahrplan fährt die nächste Bahn in drei Stunden. Die Mitropa hat zu, ich habe keine Kippen, kein Geld und nichts zu lesen.

Die restlichen Monate aus seinem Tagebuch aus dem Jahr 1989 in Ostberlin.

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25 Jahre Mauerfall – Ein ganz persönliches Tagebuch aus Ostberlin

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(Foto unter CC BY-SA 2.0 von Sludge G)

Ich habe seit Tagen einen Tab offen, den ich immer noch lesen wollte und bis heute nicht dazu kam. Jetzt aber. Mikis schreibt auf Wesensbitter über seinen letzten Sommer in der DDR und das ist in der Tat verdammt lesenswert, auch und gerade weil es sehr, sehr persönlich ist. Die Beiträge entspringen seinem ganz persönlichen Tagebuch und das zeigt ganz dabei, wie toll Tagebücher sein können – ich kriege diesen Sommer nur hoch häppchenweise zusammen, bei ihm ist das sehr detailliert. Vielleicht hätten wir nie damit anfangen sollen, aus all unseren Weblogs irgendwann keine Tagebücher mehr zu machen. Spätestens in 20 Jahren werde zumindest ich das bedauern.

Mikis schreibt regelmäßig einen Artikel, der die von ihm erlebten Monate im Sommer 1989 zusammenfasst.

Ich habe gerade alle gelesen und bin ein wenig in der Zeit zurückgereist. Es ist toll, über diesen Weg an einem ganz normalen Leben von damals teilhaben zu können. Wirklich klasse! Für mich das Beste, was ich bisher zum 25. Jahrestag des Mauerfalls lesen konnte.

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(Foto unter CC BY-SA 2.0 von Sludge G)

Ein paar Auszüge:

07.Mai 1989

Heute ist Volkskammerwahl. Der totale Affenzirkus. Die anderen wollen boykottieren, ich geh hin. Auf den Stimmzettel schreib ich: „Horst Sindermann hat ‘nen steifen Pimmel dran“. Ungültiger geht’s wohl nicht mehr. Und die können mir gar nichts. Ist schließlich ne geheime Wahl. Wie sich das gehört, am Nachmittag Wahlbierziehung mit Torsten veranstaltet.

22.05.

Fragen die mich doch heut auf Schicht, ob ich nicht Kandidat der SED werden will! Hä? Ich? Geht nicht, ich werd in die Bauernpartei eintreten, hab ich gesagt. Danach musste ich mir sofort einen Krankenschein holen, auf den Schock. Kerstin hat jetzt auch einen Ausreiseantrag gestellt. Wenn sie geht, vermacht sie mir ihren Kühlschrank und ihre Plattensammlung.

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(Foto unter CC BY-SA 2.0 von Sludge G)

04.06.

Martina hat zum Frühstück grünen Tee mit Koffeintabletten gemacht, der knallt volles Brett rein. Ich renn den ganzen Tag rum, wie der Zappelkasper auf Epilepsie. Abends mit Petra im Schreiner-Hof verabredet, wollt auf dem Weg Kondome kaufen. „Ausvakooft“ sagt die Drogerieverkäuferin. „Is‘n Engpass grade, soll nächste Woche ne Lieferung kommen. Musste solange n Knoten in die Nudel machen.“ Petra hat eh ihre Tage. Dafür labert sie mir wieder die Ohren voll, mit ihren blöden Wahlprotesten. Was für ein Scheißtag.

28.06.

Peter kommt vorbei, mit zwei Flaschen Bier. Die sind nach 5 Minuten alle. Er will irgendwas, traut sich aber nicht. Irgendwann fragt er, ob ich schon mal in einer Schwulenbar war. Er würde sowas gerne mal sehen. Also nicht, weil er schwul ist, natürlich nicht, aber irgendwie interessiert ihn das, was die da machen. Und ob ich vielleicht mitkommen würde. Als Sicherheit, und damit niemand was falsches denkt. Wir verabreden uns für Freitag. Er soll was legeres anziehen, und unbedingt enge Hosen, damit wir auch reinkommen. Und natürlich sag ich niemandem was davon. Ehrenwort.

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(Foto unter CC BY-SA 2.0 von Sludge G)

19.07.

Früh steht der Geheimdiensttrabant wieder vor der Tür. Das brauchte ja nicht lange. Ich präpariere das Bier im Kühlschrank und verlasse die Wohnung. Als ich Abend wiederkomme, warten zwei Bullen vor meiner Wohnung. Ich werde verhaftet. Warum von den Bullen und nicht von der Stasi versteh ich nicht. Was sie mir vorwerfen sagen sie nicht. Wissen sie wahrscheinlich selber nicht.

08.08.

Im Radio sagen sie, das die Ständige Vertretung wegen Überfüllung geschlossen ist. Torsten ruft mich auf Arbeit an und fragt, ob wir da auch hin wollen. Klar, das ist ne geile Idee. Und so stehen wir Abends in der Hannoverschen Straße und werfen Augustäpfel über die Mauer. Die armen Flüchtlinge sollen ja auch ein paar Vitamine bekommen. Und geheime Botschaften. Deshalb haben wir jeden Apfel beschriftet. Die Bullen jagen uns aber recht schnell weg.

06.08.

Julia klingelt mich aus dem Bett. Eigentlich kennen wir uns gar nicht richtig, aber ich hab ihr im Knaack mal meine Adresse gegeben. Sie muss am Montag mit ihrer Mutter in den Westen ausreisen und hat Bock noch mal einen richtigen Ostberliner-Samstag zu machen. Ihre Freunde sind alle in Ungarn und da fiel ich ihr ein. Ich brauch erst mal zwei Gelonida und schwarzen Kaffee. Dann trinken wir ein Bier und machen einen Plan. Wir starten im Kino Kosmos und sehen uns “Dirty Dancing” an. Mein Gott, ist das ein peinlicher Film. Irgendwann tanzen alle auf ihren Plätzen, oder in den Gängen. Wir gehen bevor der Film zu Ende ist. Wir laufen zum Alex, die Stalin-Allee ist total still und sieht in der tiefstehenden Sonne umwerfend aus. Der Alextreff ist überfüllt und so gehen wir ins Nikolai-Viertel. Das ist wie eine Zeitreise, bis plötzlich eine Hundertschaft BFC-Hools auftaucht. Die sind völlig Aggro drauf und rennen mit „Sieg Heil“ Rufen durch die Straßen. Ich schubs Julia in eine kleine Gasse und wir warten, bis der Spuk vorbei ist. „Warum machen die nichts gegen diese Arschlöcher?“ fragt sie. Ja, warum nicht? Im HdjT ist Jazzabend, aber das ist egal. Wenigstens gibt es hier keine Nazis und das Bier schmeckt.

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(Foto unter CC BY-SA 2.0 von Sludge G)

03.09.

Nee, ich will nicht mehr durch den Schlosspark latschen und nee ich hab auch keinen Bock mehr auf Holländer-Viertel. Ich will nur nach Hause. Fahr ohne Marco. Zu Hause ist der Briefkasten offen und in der Küche liegen zwei Briefe von Anne. Beide geöffnet. Jemand hat mit rotem Kuli ihre Rechtschreibfehler korrigiert und Anmerkungen gemacht. Ich könnt kotzen, langsam reicht es echt. Ich latsche zwei Stunden durch die Gegend, um ein funktionierendes Telefon zu finden. Annes Mutter hat Kontakt mit ihr. Ich sag, sie soll ab jetzt die Briefe an eine sichere Adresse schicken. Anne direkt erreich ich nicht, die Leitungen in den Westen sind überlastet. Irgendjemand hat „Freygang ist ne Renterband“ an die Ringbahnhalle geschrieben.

21.09.

Elsterwerda, 5000 Splinte gegen 7000 Unterlegscheiben. Fleischbrühe in der Mitropa und 3 Bier. Bin fast durch mit „Garp, und wie er die Welt sah“. Zu Hause (alte Wohnung) liegt wieder ein geöffneter Brief (von Anne) auf dem Küchentisch. Ich hatte mich schon gefragt, wohin meine Stasibetreuer verschwunden sind. Auf dem Umschlag steht mit roten Kuli: „Nänänäääh!“ Ich hab keine Lust ihn zu lesen.

Später lese ich ihn natürlich doch.

„…es tut mir leid. Ich sitze in Paris, da wo wir in unseren Träumen immer sitzen wollten, und du bist nicht da. Und ich bin trotzdem glücklich. Ich bin verliebt, ich fühle Schmetterlinge in meinem Bauch und es sind nicht deine Hände, die mich festhalten. Verzeih mir und vergiss mich nicht. Oder vergiss mich doch…“

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(Foto unter CC BY-SA 2.0 von Sludge G)

Die Fotos in diesem Beitrag sind nicht von Mikis, sondern aus dem großartigem DDR-Album von Sludge G und sind alle im Jahre 1990 entstanden.

(via Torsten von der E-Gruppe, der, wenn mich nicht alles täuscht, auch Teil der Geschichten ist)

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