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Eine Doku mit Jugendlichen über Jugendliche in Berlin Marzahn 1991

Ich habe die Doku letzte Woche gesehen und den Tab seit dem offen. Ich habe intensiv darüber nachgedacht, ob ich sie bloggen sollte. Weil: einerseits ein wichtiges Zeitdokument, das anderseits zeigt, warum die damals so genannte „akzeptierende Jugendarbeit“ in Bezug auf Neonazis in meinen Augen komplett falsch und später dann auch mitverantwortlich für Rostock Lichtenhagen und Hoyerswerda war. Die Doku ordnet nicht ein, die beiden Filmemacherin aus Berlin Schöneberg, aus dem Westen der Stadt, widersprechen und hinterfragen nicht, sie zeigen nur. Vermeintlich akzeptierend. So schwierig und falsch wie eben jene „akzeptierende Jugendarbeit“, die damals im Osten so betrieben wurde. Vielleicht auch weil andere Konzepte fehlten. Rassistische Sprache wird ebenso zugelassen wie rassistische Musik. Das war der damalige Ton in den Vierteln des Ostens.

Ich war 1991 14 Jahre alt und fühle mich beim Sehen der Doku wie in diese Zeit zurück versetzt. Ich hing mit Punks und mit Nazis rum. Man kannte sich von früher und wollte vorerst diese Brücken nicht brechen. Man mochte die Leute, nicht ihre politischen Ansichten und irgendwie war man ja auch befreundet. Erst als die ersten Faschos damit anfingen, an den Wochenenden nach Berlin zu fahren, um vietnamesische Zigaretten-Händler*innen zu „klatschen“ und „abzuziehen“ hinterfragte ich meine Beziehungen zu ihnen. Als sie später dann den mit Punks voll besetzten Affenclub in Kleinmachnow in Brand steckten und draußen auf jene einprügelten, die aus den Fenstern flüchteten, kam es für mich zum Bruch mit alten Freunden. Ich hatte mich für eine Seite entschieden – und nicht für ihre. Die, die mir das gleichtaten, lebten wie ich in einem Klima der Angst. Es hieß häufig „rennen oder kassieren“. Selten nur hatten wir die Möglichkeiten auch „austeilen“ zu können, auch wenn es sie gab. Es ging um Macht und die der neuen Nazis war in den Wohnstätten Ostdeutschlands allgegenwärtig. Sie waren einfach überall und konnten gefühlt machen, was sie wollten. Keiner wusste, ob das nicht auch einfach Teil dieser neugewonnenen „Freiheit“ war, mit der kaum jemand umzugehen wusste. Eltern nicht, Lehrer nicht, die Bullen nicht. Man ließ diese Leute gewähren, was andere mitunter mit ihrem Leben bezahlen mussten.

Die Doku zeigt auch, wie schwierig es ist, sich in diesem Alter überhaupt emanzipatorisch politisch zu positionieren, sich zu artikulieren. Und sie zeigt mir meine Jugend in einem kleinen Kaff im Schatten der Mauer Berlins.

Sie wurde mit Jugendlichen in einem Jugendclub Berlin Marzahns gedreht, der offenbar keine Probleme damit hatte, das Nazis dort ein- und ausgingen. Wie so viele zu dieser im Osten der Republik.

Ich habe im Jahr 2005 ein Videoprojekt begleitet, für das Jugendliche in Potsdam-Mittelmark unterwegs waren und Menschen random immer 10 gleiche Fragen gestellt haben. Das Projekt wurde nie fertiggestellt, aber ich habe neulich die Tapes gefunden, sie digitalisiert und mir dabei angesehen. Es ist schon krass zu sehen, wie sich in den letzten 20 Jahren die Prioritäten, die Träume und Ängste verändert haben. Ich hatte überlegt, diese damals Befragten heute nochmal mit den selben Fragen von damals zu konfrontieren. Würde auch dieser Doku hier sicher ganz gut tun.


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Ein Kommentar

  1. Matze20. September 2023 at 23:45

    Eben die Baseballschlägerjahre. Genau diese Ignoranz die damals der Status quo war hat auch mich geprägt. Wenn du nicht Teil dessen sein wolltest, warst du permanent in Gefahr. Das hängt mir auch bis heute nach. Gut zu wissen, dass man damit nicht allein ist.

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