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Erste richtige Arbeitswoche nach dem Lockdown – und wie das alles so war

Ich pack dazu mal ganz oben den Mix rein, der hier gerade läuft und meine aktuelle Stimmung ganz gut umrandet. Mattmosphere hat den aktuellen Lovecast gemixt und der passt mir hier gerade ganz wunderbar in den letzten Abend der ersten richtigen Arbeitswoche seit dem 15. März. Beste Hippiemusik, von der ich bisher gar nicht nicht alles kannte. Einfach dazu passend, einfach schön.

Für mich endet hier gerade die erste echte Arbeitswoche seit dem Lockdown. Am 12. März ließ ich mich in Rücksprache meines Trägers krankschreiben. In Italien brannte gerade alles, die Zahlen und Nachrichten überschlugen sich, auch in Deutschland stiegen die Zahlen der Infizierten stetig. Ich hatte keine wirkliche Angst. Auch keine echte Sorge, es fühlte sich in der Situation allerdings nicht ganz richtig an, täglich ziemlich enge Kontakte zu Menschen zu pflegen, von denen ich viele zwar kannte, aber nie wusste, was die tatsächlich tagtäglich so treiben. Echte Einschränkungen standen bis zu diesem Donnerstag noch nicht im öffentlichen Raum, aber es war absehbar, dass diese kommen würden. Ich ging zu Arzt und ließ mich, eigentlich präventiv, krankschreiben. Ich wollte zu diesem Zeitpunkt die Öffentlichen nicht nutzen, was ich manchmal halt hätte hin und wieder müssen, und ich wollte gerne gänzlich aufs Einkaufen und so verzichten. Ich wollte ganz auf Nummer sicher gehen. Konnte zu dem Zeitpunkt ja keiner genau ahnen, in welche Richtung sich das alles entwickeln würde. Ich für meinen Teil habe mich in meinem ganzen Leben noch nie so oft sagen hören, „Naja, es fehlen halt die Erfahrungswerte. Und bis dahin machen wir das hier jetzt halt mal. Was wäre die Alternative? Italien? Spanien“ Nee, lass mal. Dann fahre ich mich einfach mal ganz gerne mit runter. Wird schon wieder besser werden.“ Ich blieb konsequent zu Hause. Und war cool damit.

Dann ging alles ziemlich schnell. Auch in Deutschland explodierten die Neuinfektionen soweit ich das medial mitbekam. Brandenburg als Bundesland erließ ein paar Tage später Kontaktbeschränkungen, die Maskenpflicht wurde be- und alle öffentlichen Einrichtungen weitestgehend geschlossen. Offiziell hieß das Homeoffice. Offene Jugendarbeit war ab dem Moment nicht machbar. Was ja auch richtig war. Nachdem meine präventive Krankschreibung durch und es klar war, dass es auf längere Zeit keinen Face-to-Face-Kontakt zum Klientel geben würde, fuhr ich wieder auf Arbeit. Meistens mit dem Rad, selten mit dem da immer leeren Regio. Maske auf und ab. Die Zügen waren immer pünktlich und dazu leer wie nie. Es gab keinerlei Kontrollen und ich zahlte gut fünf Wochen lang für keine einzige Fahrt, woran ich mich sehr gerne gewöhnen wollte. Nicht unbedingt an das Nichtzahlen, aber gerne an den Komfort, nicht immer ein Ticket dabei haben zu müssen und trotzdem einfach ein- und wieder aussteigen zu können. Wäre nach dem mehr als je davor dafür, dass einfach alle von uns 30 Euro im Monat an Steuern abdrücken und dafür immer einfach den regionalen ÖPNV nutzen könnten, ohne dafür gesondert zahlen zu müssen. Eigentlich wäre ich dafür sogar überregional, was ich jetzt nicht durchgerechnet habe. Aber wie geil bitte wäre das denn?! Ich habe es sehr genossen. Eine der wenigen Dinge, die ich während dieser Umstände genossen habe.

Ich siebdruckte 100 T-Shirts dreifarbig für eine einwöchige Veranstaltung, die im Juni stattfinden und sich zum 20. Mal jähren sollte. Ob wohl schon fast klar war, dass diese nicht wie geplant stattfinden würde. Ich hatte zu tun, konnte arbeiten. Weniger als normal, aber ich hatte was zu tun, was es rechtfertigte, dass ich mein Gehalt bekam. Es fühlte okay, es fühlte sich fair an. Meine eigentliche Arbeit minimierte sich auf Online-Kontakte zum Klientel, zu den Kollegen, zum Team. Das änderte ein wenig was, bündelte Ressourcen, Zeit und sparte am Ende auf diese Weise sogar wohl auch Geld. Aber: offene Jugendarbeit ist halt nach wie vor mehr als WhatsApp und Instagramm. Offene Jugendarbeit ist auch „blöd quatschen“, ist Billard, ist Kickern, ist Kochen, ist FIFA zocken. Kids die Möglichkeit zu geben, rumzuhängen und dabei eine irgendwie gut Zeit und ein offenes Ohr für sie zu haben. Dafür liebe ich meinen Job – und das fehlte mir. Ich hatte keine Ahnung, wann und wie es wieder dazu kommen würde, kommen könnte. Ich puzzelte irgendwie vor mich hin. Fuhr nachdem die Shirts fertig waren drei Tage die Tage auf Arbeit, aufräumen, putzen, Blumen gießen, diesdas. Nie waren Kids da. Der Jugendclub ein völlig toter Raum. Ein Umstand, den ich per se schon immer kacke fand. Ein solcher Raum sollte immer mit Leben gefüllt sein. Im besten Fall mit dem Leben der Jungen. Lockdown. Nichts, was sich für mich bis dahin immer als Teil meiner beruflichen Normalität anfühlte, war noch da.

Ich hatte keine Ahnung, wie lange das hätte so gehen sollen, versuchte Kontakte online zu pflegen, aber das war nicht das selbe. Funktionierte zwar irgendwie okay, aber mir fehlte die eigentliche Arbeit. Ich zog mir einen Kapselriss im rechten Handgelenk zu. Krankschreibung. Zu Hause. Kein schlechtes Gewissen ob der Arbeit haben müssen, die ja eh nicht wirklich stattfinden konnte und in meinen Augen trotzdem irgendwie stattfinden sollte. Ich koordinierte laufende Projekte, so gut es ging von zu Hause aus, was einfach nicht das selbe ist, als würde man sie vor Ort begleiten. Termine brachen weg. Termine, die wichtig waren, die Sachberichte nach sich ziehen, weil es Gelder dafür gab, die irgendwann akkurat abzurechnen sein werden. Diese Termine wurden verschoben. Der Flow aus den dazugehörigen Projekten fuhr komplett gegen alle möglichen Wände. Ein ganz schön beschissenes Gefühl, dem ich in diesen Tagen einfach nichts entgegenzusetzen wusste. Meh.

Also wenigstens daran versucht, weiter zu machen. Foto-, Video-, Interviewtermine organisiert und durchgezogen. Abstand gehalten. Irgendwie arbeiten können. Und trotzdem: gefühlt zerfaserte Vieles. Gewohnte Kommunikations- und Arbeitsstrukturen schienen wegzubrechen.

Mitte Juni: der Landkreis ließ verlauten, dass unter ganz konkreten Umständen die offene Jugendarbeit wieder ihre Arbeit aufnehmen könne. Im Grunde genommen waren das Anforderungen die all das untersagten, was Kids wollen, wenn sie offene Jugendräume besuchen wollen. Meh. Aber in meinen Augen nach wie vor richtig. Maske auf, Hände desinfizieren, in Listen eintragen, kein Kochen, kein Kickern, kein Billard, kein FIFA. Wir verlagerten die Arbeit in den Garten, strichen die Fassade des Clubs, hoben Erde aus und ersetzten diese durch Kiesel rund ums Haus. Irgendwie halbwegs normal arbeiten und über die Tage, die Wochen kommen können, ohne seine Arbeit dabei komplett in der gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit zu versenken. Das funktionierte recht gut, war aber immer noch ganz weit weg von der bis vor den Lockdown gewohnten Normalität.

Das Klientel war froh, dass der Laden endlich wieder für sie die Türen öffnete. Sie kamen, entwickelten Corona-konforme Begrüßungen (Faust auf Abstand, Ellenbogen, Fuß zu Fuß) und war endlich mal wieder mit uns zusammen, um Blödsinn zu quatschen, sich gegenseitig zu dissen und endlich mal wieder eine schön bescheuerte Zeit zu haben, wobei der Fokus hier eher auf schön als auf bescheuert liegen soll. Liegen muss. Draußen Tischtennis ging auch.

Wir sprachen in diesen Tagen natürlich viel über die jeweils aktuelle Situation, die sich ja stetig veränderte. Dabei waren sie immer sehr realistisch, reflektieren und sich dieser durchaus bewusst. Keiner trug da irgendwelche Aluhüte oder warb für Knetbirnen wie Hildmann. Ich möchte meinen – Okay Boomer – sie waren sich dem Risiko der Lage durchaus bewusst und dabei gewollt doch „vernünftig“. Und teilten dann ihren Energydrink aus einer Dose oder drückten sich, weil sie sich so lange nicht gesehen haben. Nicht weil sie ignorant gewesen wären. Sondern weil sie sich einfach sehr lange gefehlt zu haben schienen. Dann auch unvernünftig, ja, aber dabei selbst für mich verständlich.

Am Sonntag vorm Urlaub: rechte Rippe angebrochen, was bedeutete, vorerst nicht mit dem Rad fahren zu können, was bis dahin eigentlich zentraler Plan der Urlaubsplanung war. Richtig abgefuckt an diesem Abend.

(Amsterdam, Sommerurlaub 2020)

Dann für mich endlich Sommerurlaub. Klingt nach den letzten Monaten ein wenig überinanspruchnehmend, aber ich konnte nach all dem endlich mal zu Hause sein, ohne mir Gedanken darüber machen zu müssen, wie meine Arbeit in der aktuellen Ausnahmesituation aussehen kann, aussehen soll. Ein paar Tage im Bulli unterwegs sein. Ich hatte einfach nur Urlaub und das zog dieses Gefühl der letzten Monate einfach nur ganz weit nach oben. Unbeschwert sein. Hatte mir länger gefehlt.

Jetzt war ich heute nach dem Urlaub endlich mal wieder eine ganze Woche arbeiten. Unter fast „normalen Umständen“. Sich da wieder reinzugewöhnen ist gar nicht mal so einfach, musste ich feststellen. Die ehemaligen Stammbesucher scheinen sich an eine neue Alltagsroutine gewöhnt zu haben, in denen der tägliche Clubbesuch in den letzten Monaten natürlich kaum eine zentrale Rolle gespielt haben konnte. Es wirkte alles etwas zäh. Aber okay, ich weiß nach jetzt 17 Jahren, dass sich das auch wieder ganz schnell ändern wird. Wired ist es für mich aktuell trotzdem.

Ich habe nach dem Fall der Mauer, der mein damaliges Dasein komplett auf den Kopf gestellt hatte, und von dem ich bis März dachte, dass dieser vom Fühl her nicht zu toppen sei, keine so krasse gesellschaftliche Erfahrung wie in den letzten fünf Monaten gemacht. Und ich würde lügen, wenn ich diese Erfahrung nicht nur erfahrungswert sondern auch ein bisschen geil fand. Ich habe das Privileg eines Gartens, der hier einfach mal unser sommerliches Wohnzimmer sein kann, das eines Pools, das, keine kleinen Kinder in einer kleinen Wohnung zu haben, die in die KiTa oder endlich mal wieder auf einen Spielplatz wollen, die ja alle geschlossen waren. Und ich hätte nicht tauschen wollen.

Heute endet meine erste, richtige Arbeitswoche nach dem Lockdown. Die war eher zäh. Heute aber passenderweise im Freibad. Wir haben Rommé gespielt, gebadet, klassische Freibadpommes genossen und Blödsinn erzählt. Fast normal.

Ich fand und finde alle der uns gegebenen Maßnahmen richtig und nach wie vor angemessen. Ich habe keine Idee, wie genau es weiter gehen, ob es besser oder schlechter werden wird. Ich wollte das nur mal eben hier reintippeln. Und wünsche mir, weiterhin gesund zu bleiben. Euch auch.

Fehler könnt ihr hierbei behalten. War eher so ein impulsives Getippel. Musste mal raus. Ja. Ab Morgen wieder Quatsch. Versprochen.

5 Kommentare

  1. blueyo1. August 2020 at 09:01

    Mal unabhängig davon, wie man zu den Maßnahmen steht … Interessant sind ja die anderen Beobachtungen und Erfahrungen, die du gemacht hast. Das so alle Zeit oft die eigenen Projekte wenig voran bringt; Das man menschliche Kontakte nicht durch das Internet ersetzen kann; das Jugendarbeit nur zusammen mit den Kids funktioniert; – Und wenn das ganze auf kein Ziel zusteuern kann, dann ist der Weg dahin doch fürn Arsch. Und 2021 wird auch nicht alles besser – und wenn man bis dahin wartet mit einer geilen Radtour, dann bricht man sich die nächste Rippe.
    Bleib gesund und genieße!

  2. davednb1. August 2020 at 10:56

    Das spannende ist ja, dass die erzwungen Home Office Zeit bei einigen Freunden (und auch der besten Ehefrau) auch eine neue Perspektive gegeben haben – dass z.B. eben der tägliche persönliche Kontakt zwar gut ist, man sich aber auch danach Arbeitsszenarien vorstellen könnten, die auch echtes remote working über Ländergrenzen hinweg beinhalten, was zuvor kategorisch ausgeschlossen wurde. Klar, da sind SEHR privilegierte Arbeitssituationen, ist mir absolut bewusst – aber ohne die Kontaktbeschränkungen hätte sich da der Blick nicht geweitet. Auch klar, das das nicht für alle Jobs geht und dass es auch Jobs gibt, die remote gar nicht gehen. Aber halt auch spannend, dass die letzten Monate da halt auch eine Reflektion und ein Testen erlaubten und man damit seinen „Möglichkeitenraum“ erweitert konnte, in einer geschützten Umgebung. Aber white collar, IT, etc, ist mir sehr bewusst, dass die „Krise als Chance“ für viele einfach nicht zutrifft/zutreffen kann und ich bin auch allen sehr dankbar, die ihre Gesundheit für uns riskiert haben, um den Laden weiter am Laufen zu halten, von ÖPNV Fahrern, Pfleger*innen bis hin zu allen im Einzelhandel oder auch im Logistikbereich.

  3. Steffen1. August 2020 at 16:10

    Danke fürs „rauslassen“.

  4. Maik3. August 2020 at 10:17

    Interessante Einblicke, danke dafür. Hat schon eine Menge verändert, auch, was Sichtweisen auf das Leben anbelangt. Nur möchte ich – sorry für das Semantik-Nörgeln – darauf hinweisen, dass wir hier in Deutschland in der glücklichen Lage sind, bislang KEINEN Lockdown gehabt zu haben. :) Es gab Maßnahmen und die Bitte, möglichst Zuhause zu bleiben, aber wir konnten stets unsere Häuser verlassen.

  5. PS3. August 2020 at 11:20

    Nur ein Typo: sollte sicher „weird“ statt „Wired“ heissen…
    Vielen Dank für den Text und die interessanten Erkenntnisse…

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